35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
würdevoller Haltung dem Lager zu. Hatte ich bis jetzt Angst um ihn gehabt, so war diese nun verschwunden, als ich sah, mit welcher Seelenruhe die Tobas ihren Anführer und Regenten sich den Feinden nähern sahen. Die letzteren verhielten sich vollständig ruhig. Keiner von ihnen trat in feindlicher Absicht vor; kein Laut war zu hören, selbst dann nicht, als der Alte hinter den Büschen verschwunden war.
Die Mbocovis schienen sich alle um ihn versammelt zu haben, denn so scharf ich den Platz durch das Rohr betrachtete, ich sah keinen einzeln stehen, sondern alle bildeten einen dichten, undurchdringlichen Kreis.
Wir warteten lange, lange Zeit, eine ganze Stunde und noch eine halbe; dann öffnete sich der Kreis, und der Alte kehrte zu uns zurück, doch nicht allein, sondern es kamen sechs Rote mit ihm. Der eine derselben schien ein Kazik (Häuptling) zu sein; die fünf anderen waren alte Männer, welche ihn in der Eigenschaft von Räten begleiteten. Als sie uns erreichten, sagte der Alte in spanischer Sprache zu uns:
„Dieser tapfere Häuptling der Mbocovis wünscht einige Fragen an die Señores zu richten. Nach den Antworten, welche er darauf empfängt, wird er sein Verhalten einrichten.“
Nach diesen Worten setzte er sich nieder. Pena und ich nahmen zu seiner Rechten und Linken Platz. Der Mbocovis setzte sich mit seinen Begleitern uns gegenüber. Er musterte uns mit einem scharfen Blick und sagte dann, zu meinem Erstaunen in ziemlich gut fließendem Spanisch:
„Sie sind aus dem Land, welches Alemania genannt wird?“
„Ja“, antwortete ich.
„Das freut mich, denn ich achte dieses Land und seine Bewohner.“
„Haben Sie vielleicht Deutsche kennengelernt?“
Diese meine Frage schien ihm unwillkommen zu sein, denn er wich ihr aus, indem er fortfuhr:
„In Alemania gibt es tapfere, kluge und fromme Leute. Auch Sie sind tapfer, wie ich gesehen habe; nun sagen Sie mir, ob Sie auch fromm und klug sind!“
„Erlassen Sie uns die Antwort, indem Sie prüfen, ob wir es sind oder nicht.“
„Ein frommer Mann tötet seinen Bruder nicht.“
„Vielleicht aber seinen Feind!“
„Ein kluger Mann macht sich seinen Feind zum Freunde!“
„Wenn der Feind damit einverstanden ist!“
„Das kommt auf die Bedingungen an, welche man ihm macht. Wissen Sie auch, daß ein frommer und kluger Mann niemals eine Lüge sagen wird?“
„Wir wissen es.“
„Und lieben Sie die Wahrheit?“
„Wir lieben und sagen sie.“
„Dann werde ich auch das erfahren, wonach ich forsche. Kennen Sie El Venenoso, den Häuptling der Mbocovis?“
„Ja.“
„Wo befindet er sich mit seinen achtundfünfzig Männern?“
„In unserer Gefangenschaft.“
„Lauter Indianer?“
„Ein weißer ist dabei, den Sie jedenfalls besser kennen als ich. Er wird El Yerno genannt und ist der Schwiegersohn des Sendador.“
„Wieviele dieser Indianer sind verwundet?“
„Keiner, da wir sie durch List überwunden haben.“
„Durch welche?“
„Wir locken sie auf eine Insel, wo sie festgenommen und gebunden wurden.“
„Was ist über El Venenoso und seine Leute beschlossen worden?“
„Wir wollten ihnen die Freiheit geben und ihnen ihr Unrecht verzeihen. Da aber nun auch Sie gekommen sind, um uns zu überfallen und zu töten, so werden wir wohl die Entscheidung treffen müssen, daß diese Leute an demselben Schicksal teilnehmen, welches Sie für sich und Ihre Begleiter erwählen.“
Er blickte eine Weile vor sich nieder und fragte dann:
„Kennen Sie El Sendador?“
„Ich kenne den Schurken.“
„Wir haben ihn für einen guten Mann gehalten. Wir sind seine Freunde.“
„So haben Sie sich sehr geirrt und sind die Freunde eines sehr großen Bösewichtes.“
„Auch das sagte uns der viejo Desierto, und wir konnten es nicht glauben, denn der Sendador hat uns noch niemals belogen und betrogen.“
„So ist er gegen Sie wahrer und treuer gewesen als gegen andere, obgleich ich die Treue, welche er heute gegen Sie zeigt, unmöglich loben kann. Er hat Sie verlassen. Nennen Sie das Treue?“
„Er wird durch Sie verhindert worden sein, zu uns zurückzukehren. Wir hörten viele Schüsse und haben auch seine Stimme vernommen. Haben Sie ihn getötet oder gefangen genommen?“
„Beides nicht. Er ist entkommen“, antwortete ich aufrichtig, obgleich es wohl besser gewesen wäre, ihn in Ungewißheit zu lassen. Der Mann gefiel mir nicht. Sein im allgemeinen indolentes Gesicht hatte einen verschmitzten, versteckten Ausdruck. Er sah aus,
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