35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
und wo er sich befunden hat, das ist mir gleichgültig, da ich mir nicht die große Mühe zu geben brauche, die Spuren seiner sämtlichen nächtlichen Irrgänge zu verfolgen. Bevor wir nach dem Dorf aufbrachen, ist er nicht im Wald und Gebüsch, sondern draußen auf der freien Ebene gewesen, um zu sehen, wie die Verhältnisse am Lagerplatz stehen. Er hat sich da jedenfalls in liegender Stellung so weit angeschlichen, bis er uns genau beobachten konnte. Als wir dann mit den Mbocovis aufbrachen, hat er sich von dort schleunigst nach dem Wald zurückgeschlichen, um uns vorüberpassieren zu sehen. Die Spur, welche er dabei zurückließ, ist die einzige, welche ich beachten werde.“
„Werden Sie dieselbe finden?“
„Ganz gewiß. Ich gehe direkt auf sie zu.“
„Aber Sie wissen doch nicht, wo sie ist!“
„Das weiß ich sehr genau.“
„Nun, wo?“
„Gerade vor uns. Da draußen rechts von uns befindet sich der Lagerplatz, in dessen Nähe er uns heimlich belauschte; dort links von uns liegt der See mit dem ihn umgebenden Waldstreifen, nach welchem sich der Sendador zurückgezogen hat, folglich geht seine Spur, von uns aus gerechnet, von rechts nach links, also quer über die Richtung, in welcher wir uns jetzt fortbewegen, und also müssen wir, wenn wir geradeaus gehen, unbedingt auf sie treffen, und zwar sehr bald, da er nicht weit von hier gesteckt haben kann, weil er sonst nicht nahe genug gewesen wäre, um uns deutlich sehen zu können.“
„Das ist freilich eine so komplizierte – ah, sehen Sie! Ist das nicht die Spur eines Mannes?“
Sie blieb stehen und zeigte zur Erde, wo dem Sand deutliche Fußstapfen eingeprägt waren.
„Ja, Sie vermuten ganz richtig“, antwortete ich.
„Das ist die Spur, welche wir suchen. Sehen Sie, daß sie vom Lagerplatz da draußen nach links, nach den Bäumen führt, ganz wie Sie vermutet hatten? Ich muß Ihren Scharfsinn aufrichtig bewundern.“
Sie bückte sich nieder und betrachtete die Eindrücke. Ich aber blieb aufrecht stehen, denn es genügte ein kurzer Blick schon aus dieser Entfernung, um mir zu sagen, daß sie sich irrte. Darum entgegnete ich:
„Nein, es ist die richtige Fährte nicht. Sie mag zwar vom Sendador stammen, rührt aber noch vom Abend her.“
„Woraus schließen Sie das?“
„Es ist während der Nacht ein starker Tau gefallen, welcher den Sand befeuchtet hat. Da drückt der Fuß sich leichter ein und die Ränder der Spur sind scharf, weil die Feuchtigkeit die Sandkörner kittet. Die Ränder dieser Eindrücke aber sind matt, eingefallen und unbestimmt. Der Mann, welcher da ging, kam also hier vorüber, ehe der Tau fiel, am vorigen Abend. Gehen wir weiter! Ich wette, daß wir sehr bald auf eine ähnliche, aber viel schärfer gezeichnete Fährte treffen.“
Meine Vermutung bestätigte sich schon nach kurzer Zeit. Wir hatten uns kaum dreißig oder vierzig Schritte entfernt, so kreuzte eine zweite Spur unseren Weg. „Das ist die richtige!“ rief Unica, indem sie sich niederbückte, um die Vertiefungen zu betrachten. „Sehen Sie, wie scharf die Ränder sind? Der Sand ist noch ein wenig feucht; er hält zusammen.“
„Ja, jetzt sind wir gewiß auf der richtigen Spur. Die Eindrücke sind köstlich; ich werde mir eine Zeichnung davon nehmen.“
„Warum?“
„Um später, wenn ich eine Spur finde, sagen zu können, ob sie vom Sendador ist. Seine beiden Füße haben sich mit seltener Deutlichkeit eingedrückt. Das kann mir später vom größten Nutzen sein.“
Ich nahm einen alten Brief, den ich nicht mehr brauchte, aus der Brieftasche und zeichnete die Umrisse der rechten und auch linken Fußspur auf die beiden Seiten desselben. Dann wendeten wir uns nach links, um der Fährte zu folgen. Sie führte uns erst gerade nach dem schmalen Waldgürtel und unter den Bäumen desselben eine kurze Strecke nach dem Dorf zurück. Dann sahen wir die Stelle, an welcher der Sendador gelegen hatte, um uns vorüberziehen zu sehen. Wir waren in einer Entfernung von höchstens hundertzwanzig Schritten an ihm vorübergekommen. Der Mann hatte viel gewagt, indem er sich uns soweit näherte. Um so deutlicher aber hatte er gesehen, daß sein Vorhaben vollständig verunglückt sei und er von den Mbocovis nichts mehr hoffen dürfe.
Von hier aus führte die Fährte wieder zurück, erst nach Nord und dann nach West, um den See herum. Sie hielt sich stets in der Nähe des Ufers, ein Zeichen, daß der Sendador bestrebt gewesen war, über das Wasser hinüber zu sehen und
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