35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
lassen?“
„Nur einstweilen, wie ich bereits sagte. Denken Sie sich nur in seine gegenwärtige Lage! Er hat uns ohne allen Zweifel so lange beobachtet, bis er erfuhr, welchen Ausgang unsere Umzingelung nahm. Er weiß also, daß alle Mbocovis gefangen sind und er nun ganz allein auf sich selbst angewiesen ist. Nun gibt es nur zwei Wege, von denen er einen einschlagen kann. Der erste führt nach der Laguna de Bambú zu den dort gebliebenen Mbocovis, welche unsere Gefährten bewachen; ihn wird er als kluger Mann nicht wählen, denn er muß sich sagen, daß wir erfahren, wie es dort steht, und schnell aufbrechen werden, um die Freunde zu befreien. Da wir Pferde haben, müssen wir eher dort ankommen als er. Sein Weg wäre also vergeblich, ja sogar gefährlich, da wir seine Fährte entdecken könnten, in welchem Fall er uns unbedingt in die Hände geraten würde. Geben Sie das zu?“
„Hm! Unrecht haben Sie nicht. Welches ist denn der zweite Weg?“
„Hinauf nach der Pampa de Salinas.“
„Er allein? Diese weite Strecke? Ohne daß er Vorbereitung zu einer solchen Reise treffen konnte?“
„Diese Einwände sind nichtig. Er ist oft allein oben gewesen und findet unterwegs gewiß genug Bekannte, von denen er erhalten kann, was er braucht. Sein Streben muß sein, uns da oben zuvorzukommen. Darum bin ich überzeugt, daß die Fährte, welche ich sicher finden werde, nach Westen den Bergen zu führen wird. Ich brauche keinen Gehilfen und gehe also allein. Sie mögen sich ausruhen, denn morgen früh brechen wir ganz bestimmt nach der Laguna de Bambú auf. Ich würde diesen Ritt augenblicklich antreten, wenn es nicht nötig wäre, auch den Pferden einen Tag Ruhe zu gönnen.“
Pena mußte sich mit diesem Bescheid zufriedengeben und ich entfernte mich, um mein Vorhaben auszuführen. Noch war ich nicht weit fort, als Unica mir nachkam. Sie hatte bei uns gestanden, unser Gespräch angehört und sagte jetzt in bittendem Ton:
„Sie wollen gehen, um eine Fährte zu entdecken, Herr. Ich habe viel von dem Scharfsinn gehört, welcher dazu gehört, bin aber noch nie selbst dabei gewesen. Denken Sie, daß ich Sie stören würde?“
„Sie wollen mitgehen?“
„Ja, wenn Sie es mir erlauben. Ich verspreche Ihnen, mich so vorsichtig zu verhalten, daß ich Ihnen keinen Schaden mache.“
„Sie können mitgehen. Nur einer, welcher selbständig mitsucht, kann mir die Mühe erfolglos machen. Wer mich nur begleitet, ist mir nicht hinderlich. Nur befürchte ich, daß Sie enttäuscht sein werden. So romantisch, wie Sie anzunehmen scheinen, ist die Sache nicht, zumal die gegenwärtige. Sie werden mit durch die Büsche zu kriechen haben, was für eine Dame nicht bequem ist.“
„Das tue ich mit dem größten Interesse, wenn ich nur zu sehen bekomme, wie Sie es anfangen, die Spur zu entdecken, zu unterscheiden und zu verfolgen.“
„Das ist alles so leicht, daß, wenn wir fertig sind, Sie sich darüber wundern werden, daß Sie es für schwer halten konnten. Dennoch bringt ein Neuling es gewiß nicht fertig. Kommen Sie!“
Wir gingen an dem Felsen vorüber und durch den Wald, bis wir denselben hinter uns hatten und die freie Ebene erreichten. Dort sahen wir die Spuren, welche wir selbst zurückgelassen hatten. Unica blieb stehen, deutete auf die Eindrücke und sagte:
„Da haben Sie eine breite Fährte von vielen Leuten. Wie wollen Sie die Spur des Sendador da herausfinden?“
„Es fällt mir gar nicht ein, dies zu versuchen. Kommen Sie nur weiter. Ich werde Ihnen die Erklärung im Gehen geben. Das Fährtenfinden setzt zweierlei voraus, nämlich ein vorheriges scharfes Nachdenken und zweitens das richtige sogenannte Lesen der Spur.“
„So müssen Sie auch hier vorher nachdenken?“
„Natürlich. Darüber, wo die Fährte zu finden sein wird. Laufe ich ins Blaue hinein, so werde ich wahrscheinlich nichts finden. Wenn ich mir aber das Geschehene, die gegenwärtige Situation, die Absichten des Sendador und noch manches andere vergegenwärtige, so wird das Resultat dieser Überlegung mir als sicherer Wegweiser dienen. Ich nehme als ganz bestimmt an, daß er uns beobachtet und diese Gegend nicht eher verlassen hat, als bis er wußte, woran er war. Er hat also so lange gewartet, bis wir mit den Gefangenen von dem Kampfplatz nach dem Dorf zogen. Um dies sehen zu können, mußte er in der Nähe unseres Weges liegen, und zwar unter Büschen und Bäumen versteckt, damit er nicht etwa selbst bemerkt werde. Was er während der Nacht getan
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