35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
falls ich ihn verrate. Sie aber kenne ich nicht. Sie muß ich vielmehr für Diebe und Räuber halten, denn als solche hat er Sie uns beschrieben.“
Ich deutete auf den Bruder, indem ich antwortete:
„Er hat euch belogen. Siehe das Gewand dieses Herrn. Er ist der Bruder Jaguar. Glaubst du etwa, daß ein Bruder ein Räuber sein könne?“
„Der Bruder Jaguar?“ fragte er, indem sein Gesicht sich schnell aufklärte. „Oh, von dem habe ich gehört, nicht hier in den Bergen, sondern unten am Fluß. Wenn dieser ehrwürdige Señor der Bruder Jaguar ist, so brauche ich Sie freilich nicht zu fürchten, sondern kann Ihren Worten getrost Glauben schenken.“
„Tu das, damit du nicht mit den Ungerechten auch umkommst. Willst du uns statt ihm dienen, so werden wir nicht nur vergessen, daß du dich bei ihm befandest, sondern dir und deinen Gefährten denselben Lohn geben, den er dir versprochen hat.“
„Señor, dann gehe ich zu Ihnen über. Sie sehen nicht aus wie Räuber oder Mörder, und wir Aymaras sind auf die Tobas besser gesinnt, als auf die Chiriguanos.“
„Schön! Du wirst das nicht bereuen. Und damit du überzeugt sein kannst, daß wir die Ehrlichen sind, während der Sendador ein Halunke ist, will ich dir sagen, warum wir ihn suchen.“
Ich erzählte ihm in kurzer Weise das, was er nach meinem Dafürhalten erfahren mußte. Vielleicht wäre dies nicht nötig gewesen; aber es lag mir daran, diesen Mann zu gewinnen. Er sollte sich nicht gezwungen, sondern freiwillig für uns entscheiden. Folgte er uns nur durch Zwang, so konnten wir von ihm mehr Hinder- als Fördernis erwarten. Er hatte sich in den Dienst des Sendador gestellt und konnte uns also die wertvollsten Auskünfte geben. Er hörte mich aufmerksam an und rief, als ich geendet hatte, mit aufrichtigem Staunen aus:
„So ein Bösewicht ist dieser Mann? Wer hätte das gedacht! Señor, ich bin der Ihrige; ich bleibe bei Ihnen und mag nicht zu ihm zurück. Ich werde auch meine Gefährten heimlich benachrichtigen, und sie folgen mir dann sofort. Warten Sie hier, und lassen Sie mich fort. Ich werde Ihnen meine fünf Freunde zuführen.“
„Langsam, langsam! So schnell geht die Sache nicht. Ich muß vor allen Dingen wissen, wo der Sendador sich befindet und in welcher Weise er uns entgegentreten will.“
„Das kann ich Ihnen doch ganz genau sagen. Er hat über sechzig Chiriguanos bei sich!“
„So eine bedeutende Anzahl?“
„Ja. Es wird doch am besten sein, Sie kehren um und geben sich lieber mit ihm gar nicht ab.“
„Das werden wir freilich nicht tun. Selbst wenn er noch mehr Chiriguanos bei sich hätte, müßten wir ihn haben. Wir fürchten uns nicht. Wo lagert er mit ihnen?“
„Am Salzsee.“
„Das ist im höchsten Grad unvorsichtig von ihm. Der See liegt, wie ich gehört habe, in der ebenen Pampa, welche rundum von Bergen umgeben ist. Wir müssen ihn und seine Begleiter also sehen, wenn wir von diesen Höhen kommen.“
„O nein. Er hat dafür gesorgt, daß Sie ihn nicht eher zu sehen bekommen, als bis Sie sich in seiner Hand befinden. Man kann von drei Richtungen aus nach dem Salzsee kommen, und in jeder dieser Richtungen hat er Späher ausgesandt, welche auf Sie warten und, sobald Sie sich nahen, es sofort melden müssen.“
„Also, wenn wir unseren jetzigen Weg verfolgen, werden wir auf einen solchen Kundschafter treffen?“
„Auf zwei, denn er hat sechs ausgesandt.“
„Hm! In welcher Entfernung von der Pampa halten sie? Ist der Ort, an welchem sie sich befinden, dir bekannt?“
„Ja. Ich weiß auch die Stellen, an denen die anderen Wächter postiert sind. Die zwei, welche hier diesen Weg beobachten, halten auf einer Höhe, von welcher aus man eine Stunde bis zur Pampa zu reiten hat; aber sie können uns aus einer Entfernung von zwei Stunden kommen sehen.“
„Das ergibt drei Stunden, eine hinreichende Zeit für den Sendador, sich auf unsere Ankunft vorzubereiten. Wollte er uns am See empfangen oder schon vorher überfallen?“
„Das letztere. Sie sollten überrumpelt werden. Bis Sie sich von Ihrem Schrecken und Entsetzen erholt hätten, wären Sie tot gewesen.“
„Da hätten wir uns gar nicht erholen können, mein Lieber. Aber wir sind überhaupt nicht die Leute, welche so schnell und tief erschrecken. Auch wäre es uns gar nicht eingefallen, dem Sendador so blind in die Falle zu laufen. Daß wir dich getroffen haben, ist uns lieb, kann aber nicht das geringste an der Vorsicht, die wir gewöhnt sind, mindern.
Weitere Kostenlose Bücher