35 - Sturm über Vallia
hatte so mancher Gesetzlose mehr Gold zusammengerafft, als sie, ihre Väter und Großväter und Söhne und Enkel normalerweise in ihrem ganzen Leben zusammen zu Gesicht bekommen würden.
Lon die Knie zeigte ein gerötetes Gesicht mit purpurn leuchtender Nase und strahlenden Augen – er bot einen prächtigen Anblick. Er wartete unter der Veranda für die Reiter, um die Schänke gemeinsam mit der Dame zu betreten, und freute sich auf den Umstand, daß alle Augen auf seine Gefährtin gerichtet sein würden.
»Lahal, Lon.«
»Lahal, meine Dame.«
Silda nahm sich zusammen und brachte schließlich ein strahlendes Lächeln zustande. In Wirklichkeit konnte sie sich kaum halten vor Lachen.
Lon! Lon die Knie! Seine berühmten O-Beine waren in eine Reithose gehüllt, die beinahe paßte, und ihre Tönung ging mehr auf sorgsam aufgetragene braune Kreide denn auf natürliche Farben zurück. Er hatte sich das gute Stück geliehen, soviel stand fest. Dennoch hatten sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den vallianisch-braunen Hosen, die die vornehmeren Leute zu tragen pflegten.
Seine Stiefel blitzten. Silda schaute sie sich nicht zu gründlich an. Ihren Glanz konnten sie aber nur einer gründlichen Behandlung direkt hier vor dem Haus verdanken, denn bei dem Staub ringsum machte man sich beim zweiten Schritt wieder schmutzig. Sildas Stiefel waren im Vergleich zu Lons Fußbekleidung nicht anzuschauen.
Und seine Jacke! Zum Teufel – woher hatte er die? Ursprünglich war das Stück ein Khiganer gewesen, eine schwere braune Tunika, die mit breitem Aufschlag an der linken Seite des Körpers und an der linken Schulter zugeknöpft wurde. Der Kragen ließ sich in verschiedenen Arten ausgestalten; diese Jacke schien den höchsten, steifsten und engsten Kragen zu haben, den sie je an einem Khiganer gesehen hatte. Lons Kinn ragte vor wie ein Hühnchen, das den Hals aus dem Ei streckt.
Die Ärmel des Khiganers waren abgeschnitten worden und legten auf diese Weise die weiten Ärmel von Lons Hemd frei. Es zeigte sich in schlichtem Elfenbeinweiß, ohne die üblichen Farbstreifen, die über Neigungen und Verbindungen des Trägers Auskunft gaben. Silda hätte mit sich wetten mögen, daß Lon nur die Ärmel trug und kein komplettes Hemd.
Sein Kopf war auch ohne Hut. Wahrscheinlich, so vermutete Silda, war es ihm nicht gelungen, sich einen der typischen weichen vallianischen Hüte mit kecken Federn zu erbetteln, zu leihen oder zu stehlen. Sein Kopfschmuck, eine Kappe und ein Stirnband, war in dieser Schänke sicher nicht angebracht.
Die Main-Gauche hatte er im Gürtel stecken, und von irgendwoher hatte er sich eine ganz annehmbare Scheide für den Dolch beschafft.
Lon bebte.
»Gehen wir hinein, meine Dame?«
»Bitte sehr, Lon. Ich freue mich auf einen schönen Abend.«
»Möchtest du das Feuerwerk sehen, meine Dame?«
So sprach er normalerweise nicht. Er versuchte seine Ausdrucksweise der Bedeutung des Augenblicks anzupassen.
Silda blieb stehen.
»Lon – ich muß dir zweierlei sagen. Erstens: Rede nett, aber normal. Zweitens: Sag nicht immer ›meine Dame‹ zu mir. Ich heiße Lyss. Nenn mich so, wenn du mich anreden mußt.«
Lon schluckte trocken herunter.
»Ja, meine Da... Lyss.«
Damit war Silda nun wieder in ihre Rolle als Lyss die Einsame geschlüpft. Sie seufzte und erstieg mit Lon die Vortreppe und betrat den Silbernen Lotus. Sie konnte es kaum erwarten, die derzeitigen Unannehmlichkeiten hinter sich zu bringen und nach Hause zurückzureisen, wo sie Drak wiedersehen konnte. Dieser Gedanke brachte sie auf die schreckliche Königin Lust! Diese dicke ränkeschmiedende Hexe! Bestimmt saß sie in diesem Augenblick Drak gegenüber, blinzelte ihm keck zu, schmierte ihm Honig um den Mund, drückte das Rückgrat durch und hatte bestimmt zuviel Parfum angelegt – die dicke Kuh ... und ... und ... nun ja, sie war eben bei Drak! Es war irgendwie zuviel.
Aber Silda war eine Schwester der Rose, und da blieb ihr nichts anderes übrig, als Lyss zu spielen und die Sache voranzutreiben.
Die Khiganerknöpfe an Lons linkem Schlüsselbein bestanden aus Zinn und wiesen erhobene Darstellungen Beng Debrants auf, die allerdings schon ziemlich abgegriffen aussahen. Die Knöpfe an seiner linken Flanke sahen oben ebenso aus, das Zinn schimmerte angenehm. Auf halber Strecke aber wechselte das Material; hier waren die Knöpfe aus Horn, einige mit Inschriften und abgegriffenen Bildern, die unteren ohne jeden Schmuck. Nach ganz unten zu bestanden die
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