35 - Sturm über Vallia
Opaz! Sie waren damit beschäftigt, frische Truppen auszuheben. Allerdings wuchsen Soldaten, Satteltiere und Flugboote ebensowenig an Bäumen oder auf Äckern wie Artillerie und sonstige Waffen.
Drak schritt unruhig in seinem Zelt auf und ab, das von Jurukkern bewacht wurde; er zupfte sich an der Unterlippe und versuchte mit den Entscheidungen fertigzuwerden, die ihm abverlangt wurden. Um diese frühe Stunde nahm er noch keinen Wein zu sich. Was Königin Lushfymi betraf – die Frau war ein Schatz, daran bestand kein Zweifel. Sie hatte sich während der Kämpfe hervorragend benommen und war ohne Schaden davongekommen. Ihre Konversation, die ohnehin gefällig, gebildet und witzig war, wandte sich in jüngerer Zeit immer wieder dem Umstand zu, wie wünschenswert es doch für Drak wäre, der immerhin der nächste neue Herrscher sein konnte, eine Frau zu finden und die Nachfolge sicherzustellen. Niemand gab sich einem Zweifel hin, am wenigsten Drak, daß man vom ihm erwartete, er würde Königin Lushfymi aus Lome wählen. Schließlich verblaßten doch alle anderen Frauen neben ihr, nicht wahr?
Nun ja, überlegte Drak und ließ seinen Schuldgefühlen und Erinnerungen freien Lauf. Nun ja ...
Die Wachen bellten die rituellen Losungen: »Llanitch!« Jemand, dem auf diese Weise ›Halt‹ befohlen wurde, gehorchte sofort, sonst bekam er einen Speer in den Leib. Im nächsten Augenblick wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen. Drak drehte sich halb um und rechnete schon damit, ein Wächter würde den unbekannten Besucher ankündigen. Statt dessen erblickte eine schlanke, geschmeidige junge Dame in rötlicher Lederkleidung, bewaffnet mit Rapier und Main-Gauche. Auf der Schulter trug sie eine gefährlich aussehende zusammengerollte Peitsche, an der Hüfte baumelte ein schlichter, rot bestickter Beutel, den sie mühelos mit ihrer linken Hand erreichen konnte. In ihrem Gesicht leuchtete die altvertraute herzzerbrechende Schönheit, die er so gut kannte, zugleich zeigte es Stärke und Dominanz und einen inneren Konflikt, der noch nicht gelöst zu sein schien.
»Drak, du pelziger alter Meeres-Leem, du!«
»Dayra! Du Äffchen! Bei der Herrelldrinischen Hölle – was machst du hier?«
Bruder und Schwester umfingen sich – alte Reibereien waren vergessen, so stark war die Freude über das Wiedersehen. Das Leben auf dem turbulenten Kregen treibt Keile zwischen die Menschen und macht Wiederbegegnungen um so freudvoller.
Schließlich sagte Drak: »Wo du nun hier bist, scheint mir die Zeit reif für einen Wein.«
»Und ob, Bruder. Aber nur einen Schluck für mich. Ich muß bald weiterfliegen.«
»Ach?«
Seite an Seite saßen sie auf den Kissen, die den Boden bedeckten, und Dayra nahm den Kelch mit Wein.
»Ja, ich fliege nach Hamal. Es wird Zeit, daß ich Lela wiedersehe, außerdem möchte ich mir ihren strahlenden neuen Prinzen anschauen.«
»Wie man hört, ist Prinz Tyfar von Hamal ein großartiger Kerl.«
»Das habe ich auch sagen hören. Ich möchte mich aber selbst davon überzeugen. Du weißt auch, daß er sie Zia nennt – weil Vater und er sie unter dem Namen Jaezila kannten. Für Vater ist dieser Name ohnehin gebräuchlicher als Lela. Mutter könnte manchmal an ihm verzweifeln – das sage ich dir!«
So unterhielten sie sich und tauschten Neuigkeiten aus, zufrieden, daß sie das Gespräch ohne die finsteren Erinnerungen an die Vergangenheit führen konnten. Nur einmal sagte Dayra beinahe nebenbei: »Zankov ist tot, ich nehme es zumindest fest an, so wie Käpt'n Murkizon ihm das Rückgrat gebrochen hat.«
Drak griff nach seinem Wein und trank, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Was immer man mit dem gemeinen Zankov für Probleme gehabt hatte, Dayras wacher Geist reagierte eher emotionell und mochte noch immer nicht rational eingestellt sein. Er wollte schon eine unverfängliche Bemerkung machen, als Dayra weitersprach, als wäre das Thema gar nicht angeschnitten worden.
»Ach übrigens, Drak, du Fambly, wann heiratest du endlich Silda? Ich begreife nicht, wieso du die Sache so in die Länge ziehst.«
Weil er sich ehrlich freute, seine wilde Schwester wiederzusehen, die der Familie große Sorgen und ihrer Schwester Kummer bereitet hatte, reagierte er nicht entrüstet oder gar aufgeblasen. Vielmehr nahm er einen weiteren Schluck Wein zu sich.
»Die Dinge stehen einfach nicht so, daß ich Silda heiraten werde.«
»Da siehst du es!« fuhr Dayra auf, die auch als Ros die Klaue bekannt war. »Wieso solltest du sie
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