365 Geile Nacht Geschichten Band 2 Juli
die Schultern hängt eine dieser Umhängetaschen aus Planenmaterial mit buntem Aufdruck. Seine langen Beine stecken in Jeans und er trägt dunkelgrüne Sneakers. Niemals noch habe ich ihn telefonieren oder mit einem Smartphone spielen sehen, wie die meisten anderen Pendler – er wirkt in sich ruhend – als hätte er die ganze Welt aus sich ausgeschlossen und flösse doch in stiller Harmonie mit ihr.
Ich kann nicht genau sagen, was es ist, das mich an ihm so fasziniert – er entspricht in nichts meinem üblichen Beuteschema. Männer wie er fallen normalerweise schon aufgrund ihrer Größe oder des Alters durch – und als absoluter Liebhaber langer Haare ist eine Stoppelglatze etwas, mit dem ich mich – eigentlich – nicht anfreunden kann. Auch seine Ruhe kann es nicht sein – ich mag mehr die quirligen Typen, Chaoten, die mich mitreißen und ständig Scheiße bauen. Warum er mich seit Wochen dazu antreibt, auf dem Bahnsteig oder im Zugabteil nach ihm zu suchen, ihn anzusehen, das ist mir ein Rätsel. Ich weiß nur, dass ich mich dann gut fühle, komplett. Wenn ich mal einen anderen Zug nehmen muss – oder er nicht mitfährt, fühlt sich der Tag vergeudet an und auch wenn es total idiotisch ist – ich fühle mich dann abgelehnt. In den letzten Tagen ist es schlimmer geworden. Während der Arbeit muss ich ständig an ihn denken und wenn ich irgendwo einen großen, glatzköpfigen Mann sehe, zucke ich zusammen in der Hoffnung, er wäre es.
Die Bücher, die er liest, lege ich mir zu und lese sie ebenfalls – das gibt mir ein Gefühl von Gemeinsamkeit. Ich stelle mir dann vor, dass wir beide zur selben Zeit dieselben Gedanken und Bilder im Kopf haben und das ist schön. Aber was will ich von ihm? Ehrlich gesagt, dafür, dass ich dauernd an ihn denke, ihm regelrecht nachlaufe und mein ganzes Gefühlsleben von ihm abhängig mache, habe ich erstaunlich wenig sexuelle Gedanken seinetwegen. Ich stelle mir weder Sex vor, noch, ihn zu küssen. Vielleicht, weil mir die Fantasie dazu fehlt. Ich habe noch nie etwas mit einem Mann wie ihm gehabt und da er zudem um mindestens zehn Jahre älter zu sein scheint, wäre er sicher viel erfahrener, wüsste genau, was er wollte – und dass ich das sein könnte, er mich interessant finden könnte, das kann ich mir nicht vorstellen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich bezweifle, dass er schwul ist. Vermutlich hat er ein Einfamilienhaus, eine Frau, zwei Kinder … das Übliche halt, was alle Männer in seinem Alter haben.
Als der Zug einfährt, drängle ich mich als einer der ersten Fahrgäste in das Abteil und suche mir einen freien Platz. Noch nie, seit ich ihn entdeckt habe, saßen wir nebeneinander oder direkt gegenüber – hauptsächlich, weil ich das nicht wollte. So sehr ich ihm heimlich hinterherjage, so sehr fürchte ich, ihm zu nahe zu sein. Wenn neben oder vor ihm Platz ist, setze ich mich dort nicht hin. Nun aber bin ich es, der zuerst einen Platz gefunden hat und ein bisschen verfluche ich mich dafür, da ich so nicht darauf achten kann, ob er in Sichtweite sitzt. Die Vorstellung, dass ich die ganze Fahrt über weiß, dass er zwar da ist, ich ihn aber nicht sehen kann, macht mich ganz unruhig und ich bin kurz davor, meinen Sitz wieder zu verlassen, da sagt eine tiefe, freundliche Stimme:
„Ist da noch Platz?“ Es ist das erste Mal, dass ich ihn reden höre und es geht mir durch und durch. Meine Ohren brennen, meine Wangen glühen und ich nicke mit einem gequälten Grinsen. Er lässt sich neben mich in die harten Polster plumpsen, klappt das Tischchen auf, um die Tasche daraufzustellen und vertieft sich wieder in sein Buch. Mir ist mit einem Mal unglaublich peinlich, dass ich dasselbe lese, also packe ich es gar nicht erst aus, sondern starre aus dem Fenster. Mein Herz rast und ich frage mich, ob ich etwas tun soll, etwas sagen – aber was? Immer wieder gleitet mein Blick zu ihm, erst verhalten, doch weil er liest und es ohnedies nicht mitkriegt, werde ich mutiger. Seine langen Beine finden hier kaum Platz, seine Hände sind sehnig und von Adern durchzogen, er riecht angenehm.
Plötzlich habe ich das unglaublich intensive Bedürfnis, ihn berühren zu müssen – und sei es nur zufällig – also beginne ich in meiner Tasche zu kramen und stoße dabei, wie unabsichtlich, mit dem Ellenbogen seinen Arm.
„Sorry“, murmle ich, doch es tut mir nicht leid. Diese kurze Kollision mit seinem warmen Körper weckt meine Erregung und nur mühsam unterdrücke ich ein
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