37 - Satan und Ischariot I
geben.“
„Wolltest du das? Mein Dank würde so groß sein, wie die Erde ist, und so lange währen, bis ich nicht mehr lebe!“
„Ja, ich habe mir vorgenommen, diesen Antrag zu stellen.“
„Dann werden sie mich fragen, welchen Namen mir der große Manitou zeigte und welche Medizin ich gefunden habe. Und ich kann ihnen doch keine Antwort geben!“
Wenn ein junger Indianer so herangewachsen und in allem, was er kennen und können muß, soweit herangebildet ist, daß er nun ein Krieger werden will, so hat er zunächst nach einem Namen zu suchen. Er geht also in die Einsamkeit, um zu fasten und über das, was einem Krieger und berühmten Manne zusteht, nachzudenken. Die Einsamkeit, das strenge Fasten, das Grübeln nach berühmten Taten regen ihn auf; seine Nerven kommen in einen Zustand fieberhafter Tätigkeit oder überirdischen Empfindens, infolgedessen er in Träume oder Halluzinationen fällt. Der erste Gegenstand nun, von dem er träumt oder den ihm eine solche Halluzination zeigt, wird seine ‚Medizin‘, sein Heiligtum fürs ganze Leben. Er bewaffnet sich und zieht fort, um nicht eher zurückzukommen, als bis er den Gegenstand geraubt, erobert, gefunden oder überhaupt erlangt hat. Das Ding, mag es nun groß oder klein sein oder die seltsamste Form und Gestalt haben, wird in Felle genäht und sorgsam verwahrt. Er nimmt es auf seine Kriegszüge mit und hängt es an die Lanze, welche vor seinem Zelt in der Erde steckt. Diese Medizin ist ihm das Kostbarste, das Heiligste, was er hat; um ihren Besitz kämpft er mit wahrer Verzweiflung und mit Aufbietung aller seiner Kräfte. Darum ist es ein großer Ruhm, die Medizin eines Feindes oder gar mehrerer oder vieler Feinde erobert zu haben. Ebenso groß ist aber auch die Schande, seine Medizin verloren zu haben, ob im Kampf oder aus irgendeiner anderen Ursache, das bleibt sich gleich. ‚Der Mann, der keine Medizin hat‘, das ist die tödlichste Beleidigung, welche einem Indianer gesagt werden kann. So ein Verachteter ruht gewiß nicht eher, als bis er die Medizin eines Feindes erobert hat; sie wird dann die seinige, und seine verlorengegangene Ehre ist wiederhergestellt.
Meist nimmt ein junger Mann, sobald er den Gegenstand, von welchem er träumt, also seine Medizin, gefunden hat, den Namen derselben an, weshalb man oft auf die sonderbarsten Namen stößt, z.B. die ‚Tote Spinne‘, das ‚Zerrissene Blatt‘, der ‚Lange Faden‘. Die Betreffenden haben eben, als sie nach Medizin suchten, zuerst von einer toten Spinne, einem zerrissenen Blatt, einem langen Faden geträumt und tragen nun diese Gegenstände als ihre Medizinen mit sich herum. Es kommt aber auch vor, daß, wenn ein junger Mann sich durch eine besondere Tat auszeichnet, einen Ehrennamen erhält, welcher an dieselbe erinnert, und ein solcher Name wird viel höher geachtet als der gewöhnliche Medizinname. Darum antwortete ich auf die letzten Worte meine Begleiters:
„Du brauchst nicht zu antworten, denn die Antwort werde ich ihnen geben, wenn sie so fragen.“
„Du?“ fragte er, indem seine Wangen sich höher röteten.
„Ja, ich, denn ich habe einen Namen für dich.“
Er senkte den Kopf, um sein Entzücken zu beherrschen. Er hätte mich sicher gar zu gern nach diesem Namen gefragt, doch wäre das gegen alle Regeln der Höflichkeit und Bescheidenheit gewesen. Darum fuhr ich, um seine Wißbegierde zu stillen, fort:
„Kannst du dir nicht denken, welchen Namen ich meine?“
„Nein.“
„So sage mir, welches die erste Tat ist, durch welche du dich ausgezeichnet hast!“
„Meine erste Tat“, antwortete er seufzend, „war die, daß ich Old Shatterhand in die Hände der Feinde trieb.“
„Das hast du ja wettgemacht und ist also gesühnt; es war kein Tun, sondern ein Unterlassen, ein Nichtbeachten der von mir vorgezeichneten Vorsichtsmaßregeln. Dein erstes Tun, deine erste, wirkliche Tat war meine Befreiung. Was meinst du wohl, was deine Krieger zu dieser Tat sagen werden?“
„Wer Old Shatterhand befreit, der ist der glücklichste und berühmteste Krieger und wird niemals einer Medizin bedürfen.“
„Nun wohl, du hast zu meiner Befreiung mitgewirkt und dabei zwei Yumas erschossen; ich werde also am Feuer der Beratung den Ältesten deines Stammes vorschlagen, dich Yuma Shetar zu nennen, und ich bin überzeugt, daß sie auf diesen Vorschlag eingehen werden.“
„Gewiß werden sie das, ganz gewiß!“ rief er aus oder vielmehr schrie er laut auf. „Es ist ja ein Ruhm für den
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