4 Meister-Psychos
weitergehen;
Da! Jetzt stieg er aus, lief in
Fahrtrichtung weiter. Die Bahn zog wieder an, Julia sah den hellen Trenchcoat
auf der rechten Straßenseite. Kurz hinter der Haltestelle stoppte sie unter einer
Laterne, löschte das Licht aus und schloß ab. Sie mußte zu Fuß weiter, wie er,
sie konnte nicht hinter ihm herfahren. Der Mann war nun schon weiter entfernt,
er ging ziemlich schnell, und Julia beschleunigte ihren Schritt. Immer weniger
Menschen begegneten ihr, immer spärlicher leuchteten die Straßenlaternen. Was
war das bloß für eine finstere Gegend!
Sie bemühte sich, ihre Schritte
zu dämpfen, schlich auf Zehenspitzen und verwünschte die hochhackigen Schuhe,
die so nett aussahen und in denen es sich so miserabel lief. Von Zeit zu Zeit
verbarg sie sich in einem Hauseingang und ließ den Mann mehr Vorsprung
gewinnen, dann holte sie wieder auf und kam ihm vorsichtig näher.
Er verschwand so urplötzlich,
daß sie einen Moment ratlos innehielt und wartete, ob er wiederauftauchen
würde. Aber nichts geschah. Sie lief weiter, äußerlich ruhig, innerlich von
ängstlicher Spannung erfüllt. Hier mußte er verschwunden sein, richtig, da war
ein Torbogen mit einer hohen, schweren Holztür.
Sie lauschte. Aus einiger
Entfernung klang der Schlag einer Tür, dann war alles still. Sie zögerte,
drückte dann auf die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen, ließ sich aber
schwer bewegen. Julia schlüpfte durch den Spalt, sah vor sich eine dunkle
Einfahrt und ging lautlos weiter. Sie wagte kaum zu atmen. Ein Hof öffnete
sich, ein gewöhnlicher Hinterhof mit einem kleinen, eingezäunten Garten. Links
stand eine halbverfallene Laube, auf der anderen Seite eine Mauer, dazwischen
lag Gerümpel, ein Bretterstapel, ein paar Fässer.
Der Eingang zum Vorderhaus lag
auf dessen Rückseite, aber am hinteren Ende des Hofes stand ein zweites,
niedrigeres Gebäude. Julia war überzeugt, daß der Unbekannte den Weg dorthin
genommen und sie selbst den Schlag der hinteren Tür gehört hatte. Sie trat
behutsam näher, und wie zur Bestätigung ihrer Annahme flammte jetzt ein
schwaches Licht hinter einem der oberen Fenster auf.
Es war eine seltsame Fügung,
daß Steinmann zur gleichen Zeit das Licht hinter den Fenstern der Fehlingschen
Wohnung aufleuchten sah. Aber davon ahnte Julia nichts. Ein Schatten fiel auf
den Vorhang, entfernte sich und nahm wieder Form an, schwarz und unheimlich.
Ein Mensch bewegte sich im Zimmer, das mußte er sein, dort wohnte er. Ein jähes
Glücksgefühl überkam das Mädchen. Rechts unter dem Dach, notierte sie in ihrem
Gedächtnis, Hinterhaus.
Jetzt hatte sie seine Wohnung,
und sie würde ihn wiedererkennen, den Mantel, die Schuhe. Jetzt konnte Nogees
kommen!
Nogees und Steinmann saßen dem
Schauspieler gegenüber. Der Kommissar musterte ihn unter gesenkten Augenlidern,
er sah ihn jetzt zum erstenmal mit anderen Gefühlen, dienstlich sozusagen, und
er erkannte, daß er kein leichtzunehmender Gegner war.
Fehling war ruhig und schien
völlig unbeeindruckt, zuweilen zuckten seine Mundwinkel wie unter verborgenem
Gelächter.
»Ich will Ihnen die Geschichte
erzählen, meine Herren. Sehr interessant ist sie nicht. Den Namen Warrender
führte ich früher einmal eine Zeitlang als Künstlernamen. Sie verstehen — je weniger
man ein Künstler ist, desto mehr möchte man einer sein — , ich war damals noch
keiner, aber der Name hob mein Selbstbewußtsein. Ich ließ ihn später wieder
fallen, bediente mich seiner nur noch bei einzelnen Gelegenheiten. Eine davon
kam, als ich vor rund einem halben Jahr Dr. Randolph als Privatpatient auf
suchte.«
»Warum nannten Sie nicht Ihren
richtigen Namen?«
Fehling blickte den Frager,
Nogees war es, mit ruhigen Augen an.
»Es klingt etwas abwegig, aber
ich bin überzeugt, daß auch Sie es verstehen werden.«
Sein Tonfall ließ die Ironie
nicht ahnen.
»Ich litt früher an einer — hm
— an einer langwierigen Krankheit. Ich mußte mich Dr. Randolph regelmäßig
vorstellen, aber ich wollte nicht, daß ihm mein richtiger Name bekannt würde —
in meinem Beruf ist man dem Klatsch eher ausgesetzt als in anderen — , und so
nannte ich ihm den falschen Namen.«
Fein ausgedacht, überlegte
Nogees. Nichts dagegen zu sagen. »Und Ihre Adresse?«
»Nach der fragte er gar nicht.
Ich meldete mich meist telefonisch bei ihm an und bezahlte ihn immer sofort.
Ich glaube, er war mit Warrender zufrieden.«
»In welchen Abständen suchten
Sie ihn auf?«
»Wie er mich
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