4 Meister-Psychos
sie wußten oder fürchteten zumindest, daß die
Fremde — Fräulein von Herlyn — sie gesehen hatte. Dann riefen sie programmäßig
von einer Zelle aus an. Es war ja ziemlich sicher, daß irgend jemand den Mord
schon entdeckt hatte — noch wahrscheinlicher ist, daß Sie auch mich von oben
gesehen haben, als ich das Haus betrat.
Alles Weitere lief von selbst
folgerichtig ab. Zwei Verdächtige sprangen für Sie in die Bresche — später kam noch
der geheimnisvolle Warrender dazu, den Sie vorhin in Herrn Fehling staunend
erkannten. Und wenn nicht irgendein armer Teufel die Schuhe aus dem Papierkorb
gefischt und angezogen hätte, dann wäre Dr. Marohn verurteilt worden — an Ihrer
Stelle verurteilt worden, Frau Randolph. Und das paßte doch eigentlich auch zu
Ihrem Plan — nachdem Sie erkannt hatten, daß er dieses Mädchen liebt und für
Sie verloren war. Oder nicht, Frau Doktor? Sie haben nicht mehr viel Zeit!
Antworten Sie!«
Seine Augen hielten die Frau
wie in einer stählernen Klammer. Ihre Hände mit den tiefrot gefärbten Nägeln
lagen ausgestreckt auf den Lehnen. Ihre Brust hob und senkte sich. Julia
spürte, wie sich ihre Gestalt straffte, sie wollte dem Kommissar eine Warnung
zurufen, aber es war schon zu spät. Wie ein Blitz schnellte ihre rechte Hand
vor, dann flog der Sessel weit ins Zimmer hinein, und Ilse Randolph stand zwei
Meter vom Schreibtisch entfernt. Ihre Augen sprühten, aber ihre Hand mit der
Dienstpistole des Kommissars zitterte nicht.
»Ja, ich habe ihn getötet«,
rief sie mit schriller, fast schluchzender Stimme, »und ich würde es jeden Tag
wieder tun. Er hat mich gequält und erniedrigt — aber das werden Sie niemals
verstehen — niemals.«
»Ich danke Ihnen, Frau
Randolph«, sagte Nogees leise und mit hellem Hohn. »Ich danke Ihnen. Die ganze
böse Geschichte ist nämlich äußerst schwierig zu beweisen — aber Sie haben uns
der Mühe enthoben. Ich bin Ihnen wirklich zu Dank verpflichtet.«
»Das wird Ihnen nichts mehr
helfen«, stieß sie in lodernder Wut hervor. Der Lauf der Waffe wies in gerader
Richtung auf des Kommissars altmodische Weste.
»Schießen Sie nur«, sagte
Nogees im gleichen Ton wie vorhin, aber er lächelte, »schießen Sie nur. Ihr
Mann saß an dieser Stelle — es ist dieselbe Richtung.«
Er ist wahnsinnig, dachte
Julia. Ilse Randolph drückte ab, jetzt mußte der Feuerstrahl aus dem Lauf
hervorbrechen. Aber nur ein metallisches Knacken ertönte, einmal, noch einmal.
Im Anbruch der nächsten Sekunde erfaßte die Frau die Falle, in die sie gegangen
war — mit aller Gewalt schleuderte sie die schwere Waffe gegen den Kommissar.
Nogees duckte sich — aber nicht früh genug. Der Revolver streifte seine rechte
Stirn, und er sank aufstöhnend über den Schreibtisch.
Jetzt war Ilse Randolph schon
an der Tür. Mit einem gewaltigen Satz sprang Peter hinter ihr her, aber er
verfing sich im Teppich, stolperte und schlug schwer auf den Boden.
Julia hörte die flüchtigen
Schritte im Vorraum, sah das entgeisterte Gesicht des vor Schreck völlig
gelähmten Fehling — ohne Überlegung stürmte sie quer durch das Zimmer, als
müßte sie die aufgespeicherte Spannung in einer wilden Handlung entladen —
jetzt, am Ende der langen Spur.
Sie riß die Korridortür auf und
sah die blonde Haarkrone der Feindin unter dem Dach der Kabine des summenden
Paternosters versinken. Ein paar Sätze, und ihre Hand erreichte den roten
Knopf. Der Aufzug stand!
Dann lehnte sie sich atemlos
und erschöpft an die Mauer. Aus der Tür kam Peter auf sie zu. Die Angst wich
aus seinen Augen, er nahm sie in die Arme. »Julia!«
Auf der Treppe erklangen
stürmische Schritte. Steinmann sauste um die Ecke, die Pistole im Anschlag. Er
kam nicht dazu, eine Frage zu stellen.
Aus der Wohnungstür taumelte
Nogees. Mit beiden Händen hielt er seine Stirn. Das Gesicht war blutüberströmt.
»Wo ist sie?« fragte er mühsam.
Julia deutete stumm auf den
Paternoster.
Nogees begriff und lächelte
unter Schmerzen.
»Großartig, Mädchen«, sagte er.
»Großartig.«
Dann brach er am Fuße der
Treppe zusammen.
Sie saßen zu viert am Bett des Kommissars.
Der dicke Kopfverband ließ nur ein Auge frei, aber Nogees rauchte und war in
guter Stimmung. Rechts von ihm saßen Julia und Peter, links thronte Steinmann
und hielt Dora Welleins Hand.
»Man sollte leichtere
Dienstrevolver einführen«, sagte Steinmann. »Vor allem für die höhere Laufbahn.
Wie geht es Ihrer Gedächtnishalle,
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