4 Meister-Psychos
zog
meine Schlafanzughosen an. Das Gewicht von Mabels Körper drückte die Tür nach
innen. Mabel sackte über die Schwelle. Ich griff unter die Achselhöhlen; sie
waren schweißnaß. Mit einem Ruck zerrte ich das Mädchen herein. Sie hob den
Kopf und öffnete den Mund zu neuem Geschrei. Tessa unterband das schnell.
»Shut up! Weck nicht ganz
London auf!«
Ich steckte die Nase auf den
Flur hinaus. Kein Mensch war zu sehen, weder rechts noch links. Hinter der Schwingtür
am linken Ende war hinter den Scherengittern zum Schacht die matterleuchtete
Kabine des Fahrstuhls zu erkennen, So viel Verstand hatte Mabel noch besessen,
nicht alle vier Treppen hochzustolpern. Ich wartete. Kein Verfolger wurde
sichtbar, aber daran hatte ich auch nicht geglaubt. Ich klinkte die Tür zu und
schob den kleinen Sperriegel an seinen Platz. Unser Heim war wie unser Schloß.
Tessa hatte Mabel auf das Bett
gehievt. Sie wimmerte weiter und zuckte dabei wie ein Epileptiker.
Dann fiel Mabel zurück. Sie
schluckte und öffnete die Augen. Ihr Blick machte uns betroffen. So konnte ein
Zeuge aussehen, der zu einer Hinrichtung befohlen worden war. »Ron.«
Tessa bekam eine Falte über der
Nasenwurzel. »Ron?«
»Er, ja. Muß tot sein. Er muß
tot sein. »Jetzt hatte sie den Satz beieinander.
Meine und Tessas Augen kreuzten
sich. Ich sah, daß sie wieder böse werden wollte. »Hör mir zu, Mabel! Wenn du
schon besoffen bist...«
»Warte mal, Tessa. So wird das
nichts. Sie ist eine hysterische Ziege. Pardon, Persönlichkeit, nein, stimmt
wissenschaftlich auch nicht, sie hat hysterische Reaktionen, aber wir
sollten...«
»Sie soll sich .zusammennehmen
und uns sagen, warum sie hier Lady Macbeth vorspielt, oder...«
»Sei lieb. Gib ihr eine
Chance.«
»Also mach schon.«
»Mabel«, sagte ich, »wieso muß
Ron tot sein?«
Mabel krampfte die Hände in die
Kissen. Sie kam mit dem Oberkörper hoA. Ihr Schlüsselbein trat im Fleisch
hervor.
»Er ist kalt«, sagte sie sehr
leise und sehr bestimmt. »Ganz kalt. Er wurde immer kälter. Ich wollte ihn
wärmen. Ich war betrunken. Er rührte sich nicht und sagte nichts, das ist mir
nicht aufgefallen. Das tat er oft, wenn er schlechte Laune hatte.«
»Fang am Anfang an«, sagte ich
zu Mabel.
»Ich bin aufgewacht. Alles
dunkel, und die Luft miserabel. Ich hab’ mich ausgezogen, das ging schnell.
Vorher habe ich mir in der Küche Zitronenwasser gemacht... guter Gott«, sie
kicherte »hab’ wohl eine Tasse runtergeschmissen oder so was Ähnliches.«
Tessa sah mich an. Wir
schüttelten gleichzeitig die Köpfe.
»Weiter, Mabel.«
Ihr Kichern verflog mit der
Erinnerung. »Ich nahm den Krug und ging nach hinten. Licht war schon aus. Ich
finde ja alles im Dunkeln. Hab’ nur mal mit dem Krug geschwappt, hab’ gedacht,
wenn schon, muß sowieso alles saubermachen morgen. Ganz leise rein. Ich wollte
ihn nicht wecken. Krug hingestellt und hin zu Ron.«
Sie fing an zu weinen, und
Tessa hatte Mitleid mit ihr. Ron würde erst an zweiter Stelle kommen.
»Er lag auf der Seite. Meistens
liegt er so. Bin an ihn ran. Seine... seine Arme waren weich, keine Kraft drin,
schön, hab’ ich gedacht, besoffen und dann der Schlag von — von... Wer war’s
gleich?«
»Jack.«
»Ja, Jack.« Ihre Augen
flatterten, die Heultour stand bevor. Sie packte uns, jeden mit einer Hand.
»Jack war es! Jack war es!«
»Schon gut«, sagte ich,
»weiter.«
Sie ließ uns los, fiel nach
hinten und stierte an die Decke. »Ich hab’ ihn an mich gezogen — an die Brust,
versteht ihr — , geküßt auch. Dann muß ich eingeschlafen sein — fest, nichts
geträumt. Bin aufgewacht wegen Durst. Hab’ getrunken. Furchtbar viel. Dann —
dann hab’ ich gemerkt, daß ich friere. So kalt. So kalt war’s. Hab’ ihn wieder
umarmt und geküßt und... Es war nicht die Decke, die war ja da, er war es, Ron
war so kalt, der hätte doch warm sein müssen, längst hätte er das, war aber
nicht.«
Sie zitterte wie im
Schüttelfrost. Das war kein Theater. »Ich hab’ ihn geschüttelt, dann hab’ ich
Licht gemacht... Ron lag da, aber er war es nicht mehr, er war ganz fremd, er
hatte noch nie so ausgesehen — und dann hab’ ich gemerkt, daß er nicht atmete,
kein Hauch, nichts, und seine Augen sahen nichts mehr an, sie waren offen, wie
blind sahen sie aus. Ich hab’ gerufen und geschrien, auf einmal wußte ich es.
Er ist tot.«
Ich sah Tessa an. Das Blut wich
ganz langsam aus ihren Wangen und von der Haut ihrer Stirn.
»Hast du seinen Puls
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