4 Meister-Psychos
Mara und Ron gehabt haben, kriege ich auch noch! Stell
dir das vor!«
»Wird lange dauern, bis wir
alles versoffen haben. Wir müssen die mittlere Trinkgeschwindigkeit erhöhen.
Ach, da fällt mir ein, was ich fast vergessen hätte.«
»Was?«
»Um deine Hand anzuhalten.
Deinen Vater brauche ich ja jetzt nicht mehr zu fragen.«
Wir heirateten am vierzehnten
August. Ein Sonntag. Ich sagte ›ja‹ auf englisch, und Tessa auch. Wir aßen im
Dachgeschoß vom Hilton, und hinterher fuhren wir gemütlich an der Themse hoch
in Richtung Maidenhead.
»Vor genau einem Monat sind wir
angekommen«, sagte ich.
»Allerhand passiert inzwischen,
was?«
»Allerhand.«
»Das Landleben wird uns
guttun.«
Der Aston lief lautlos wie an
einer unsichtbaren Schnur. Ich ließ ihn sachte vor das geschmiedete Tor rollen.
Ivy Cottage lag dicht an der Straße. Bis zur Themse hinunter waren nur fünfzig
Meter Abhang. Laubwald und feuchtwarmes Gebüsch mit Geschwadern von Mücken. Das
Haus hatte ein Obergeschoß und einen einstückigen Seitenflügel mit einer
Steinterrasse davor. Ein Serpentinenweg führte zum Bootsschuppen hinunter. Viel
Efeu klebte an den Hausmauern mit dicken Spinnen darin. Innen war tiefe Stille
und leicht muffige Luft. Tessa riß alle Fenster auf. Ich ließ den Kühlschrank
anspringen und deponierte unsere Flaschen und das Fleisch. Tessa überzog die
Betten und briet Steaks. Wir aßen jeder zwei. Dann gingen wir langsam zum Fluß
hinunter durch Mücken und Laub. Das alte Gewässer rollte geruhsam an uns
vorbei.
Oben tranken wir noch eine
Flasche Pommery und gingen ins Bett. Die Spinnen knisterten im Efeu.
»Das wäre also unsere
Hochzeitsnacht«, sagte ich und streckte mich zu zufriedener Länge. »Nachzuholen
haben wir eigentlich nichts. Man sollte einmal den seltenen Gag probieren, sich
in der Hochzeitsnacht nichts zu tun.«
Tessa gab keine Antwort.
»Denkst du an was?«
»Ja.«
»Und?«
»Wenn nun nicht alles in
Ordnung ist, Paul?«
»Wieso?«
»Die Calhoun. Sie war Vaters
Komplicin. Sie lebt und sitzt in London. Vielleicht macht sie fertig, was sie
angefangen haben.«
»Wie kommst du darauf? Und
gerade heute?«
Sie klammerte sich an mich.
»Ich will keine Angst haben! Ich will leben! Mit dir!«
»Sicher. Ich auch.«
»Vielleicht war es Richardson.
Sie haben ihn losgeschickt, um Mara umzubringen. Ich wäre die nächste gewesen,
wenn wir nicht nach London gefahren wären. So war es Ron. Papa konnte nicht
mehr und hat sich erschossen. Aber sie wird Richardson wieder losschicken. Für
mich.«
»Hätte gar keinen Sinn mehr,
kleiner Vogel. Sie kriegt nichts, wenn du tot bist.«
»Egal. Sie will sich rächen.«
»Ach was. Ihr Zukünftiger hat
sich selber erschossen. Was kannst du dafür?«
»Wir müssen was tun, Paul«,
flüsterte Tessa, als wäre noch jemand im Zimmer außer uns, der nichts hören
durfte. »Ich habe Angst. Ich denke an Maras Kopf. »Sie schluchzte kläglich wie
ein Kind. »Ich sehe ihn vor mir. Das Paket. Das schreckliche Paket.«
Ihre Tränen tropften auf meine
heiße Haut. Sie sagte nichts mehr, und ich konnte nachdenken. Ich drehte sie
auf den Rücken und hielt mein Gesicht über ihres.
»Hör zu, Tessa. Wir können
nicht sie und Richardson umbringen wegen deiner Angst. Wir dürfen von Glück
sagen, daß es bei deinem Vater geklappt hat.« Ich atmete tief. »Außerdem ist es
auch nicht nötig.«
Ich wußte nicht, wie oft ich
diesen Moment noch verfluchen würde, aber ich wollte die Furcht von Tessa
nehmen, die sie verfolgte.
»Der Mann, der Mara und Ron
umgebracht hat«, sagte ich langsam, »von dem hast du nichts zu befürchten. Du
niemals. Der tut dir nichts. Der liebt dich. Den hast du heute geheiratet.«
XII
Ich ließ mich zurückfallen.
Tessa Atem war nicht zu hören. Eine lange, häßliche Pause entstand. Ich mußte
ganz plötzlich an Goethe denken. ›Drei Dinge kommen nicht zurück. Das
gesprochene Wort. Der abgeschossene Pfeil. Die versäumte Gelegenheit.‹
Tessa blieb unter mir liegen,
ganz hautnah. Ich konnte nicht spüren, ob sie im Innern wegging von mir in
diesem Augenblick.
»Du warst es?«
»Ja.«
»Warum sagst du es mir?«
»Damit du keine Angst mehr
hast.«
»Warum hast du es nicht früher
gesagt?«
»Es mußte erst alles erledigt
sein. Alles. Jetzt ist es erledigt.«
»Hast du das Paket geschickt?«
»Ja.«
Wieder blieb sie still.
»Das war ein langer Plan,
Tessa«, sagte ich. »Und das hatte alles seinen Sinn und Verstand. Weißt
Weitere Kostenlose Bücher