4 Meister-Psychos
auf das Ventil des Balles. Langsam
stieg die Flüssigkeit hinter den schwarzen Markierungen der Glasröhre hoch!
Meine Hände zitterten nicht. 8-7-6-5-4-. Ich ließ das Ventil los.
Sechs Kubikzentimeter.
Genug für Peters.
Ich hob die Pipette heraus und
ließ das Strontium in die leere Flasche laufen. Als ich den Ball zum zweitenmal
ausdrückte, um die letzten Reste herauszublasen, öffnete sich die Tür zum
Nebenraum. Ich fühlte, wie mein Magen sich zusammenkrampfte. Ein kochender
Strom lief über meine Haut. Ich hielt die Pipette krampfhaft fest, aber die
Spitze klirrte gegen den Hals der Flasche, als hätte ich Fieber.
Wenn es Peters war, war ich
erledigt.
»Na, so spät noch fleißig?«
Ich verspürte eine so
grenzenlose Erleichterung, daß mir schwindelig wurde. Für einen Augenblick sank
mein Kopf vornüber.
Es war nicht Peters. Es war die
leitende Assistentin vom chemischen Labor, das neben unserem lag.
Ich drehte mich nicht um.
Langsam zog ich die Pipette heraus, hielt sie waagerecht und nahm den Gummiball
ab.
»Man hat’s schwer«, sagte ich.
»Nichts als Überstunden.«
Ich nahm die Pfropfen und
drückte sie auf die Flaschenhälse.
»Was machen Sie denn?« fragte
die Neumann.
Verfluchte neugierige Ziege!
Ich trug die Pipette zum
Spülen, stellte sie vorsichtig hinein und drehte den Wasserhahn auf. Dann
wandte ich mich um.
Mein Lächeln verdeckte meine
Unruhe. Der Kopf der Neumann mit dem falschen Honigausdruck und den fettigen
Haaren hing im Türrahmen. Den Rest ihres Körpers ließ sie draußen, aus Angst
vor den Strahlen.
»Bißchen Jod abfüllen für
morgen.«
Ihre Brillengläser glitzerten.
»Doktor Peters tut wohl gar
nichts mehr?«
»Er tut das Seine«, sagte ich.
»So wie Sie arbeitet er natürlich nicht.«
Sie war als Arbeitspferd
bekannt. Sie konnte niemanden sitzen sehen.
»Wenigstens ein Fleißiger im
Isotopenlabor«, sagte sie bissig. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Fräulein Neumann«,
sagte ich sanft.
Die Tür schnappte ein. Zwei
Sekunden brauchte ich, um die Strontiumflasche aus der Verschraubung zu lösen
und sie in die Bleikapsel im Schutzschrank zurückzustellen. Die Gummihandschuhe
klebten an meinen Händen.
Ich sah mich nach einer leeren
Bleiröhre um, denn ich wollte das Teufelszeug nicht ohne jede Abschirmung in
der Tasche haben. Nach einigem Suchen fand ich eine. Meine Flasche paßte
hinein. Ich stellte die Stative an ihren Platz zurück und schloß den Schrank
sorgfältig. Noch eine halbe Stunde brauchte ich, um das Jod in die Ampullen zu
füllen. Ich mußte ein Alibi für diesen Abend haben. Die Neumann verstand nichts
von dem Kram und konnte nicht gesehen haben, womit ich in Wahrheit arbeitete.
Aber sie konnte reden. Ich schlug noch eine Lage Zellstoff um die Bleiröhre.
Dann streifte ich die Gummihandschuhe ab, warf sie in das Spülbecken und
scheuerte meine Hände, bis sie rot und geschunden aussahen. Der Monitor im
Labor war noch angestellt, und er tickte noch hastig und unruhig, als ich die
Kapsel in meiner Aktentasche verborgen hatte.
Das Strontium strahlte.
Ich zog meine Jacke und meinen
Mantel an. Dann stellte ich den Zähler ab, löschte das Licht und verschloß die
Tür. Das Institut lag dunkel und still, als ich fortging.
Jeden Vormittag trank Peters
eine Tasse Pulverkaffee. Ich hatte ihn ein paarmal dabei angetroffen, als ich
hinaufgegangen war, um irgend etwas zu fragen.
Der Kaffee.
Das war der Weg.
Ich verlor keine Zeit.
Am nächsten Morgen nahm ich das
Strontium wieder mit ins Institut. Ich stellte die Aktentasche mit dem
Bleiröhrchen, in einen leeren Wandschrank, der auf dem Flur stand, weit
entfernt von jedem Monitor. Dort konnte sich die Strahlung nicht verraten.
Dann ging ich nach hinten zum
Arbeitsraum und sah mich gründlich um. Überall die gewohnte Unordnung. Keine
Spur meiner abendlichen Tätigkeit.
Ich ging zurück. Die beiden
Jodpatientinnen kamen nacheinander und schilderten endlos und mit weinerlicher
Stimme ihre Beschwerden. Halb elf war die letzte gegangen. Ich stellte den
Apparat ab und reinigte die Spritzen. Dann trug ich die Speicherkurve der
ersten Patientin auf Millimeterpapier auf. Ich schrieb die Impulszahlen dazu, riß
das Blatt vom Block und ging zum Fahrstuhl.
Oben im Gang standen überall
Tragen mit geduldigen Patienten herum. Schwestern und Assistentinnen liefen hin
und her. Ich grüßte freundlich nach allen Seiten.
Vor der Tür zu Peters’ Zimmer
blieb ich stehen und versuchte zu hören, ob sich
Weitere Kostenlose Bücher