4 Meister-Psychos
Jetzt, in diesem Moment, wenn sie es nicht schon im
Lokal entschieden hat. Heiliger Patrick, steh mir bei!
Wie ein schottischer See sind
ihre Augen, dachte er. Kommt eine Falte auf der Nasenwurzel? Nein, es« kam
keine. Ihr Blick suchte den anderen.
»Sie entschuldigen einen
Moment, John, ja?«
John nickte und wandte sich ab.
Er schien schon daran gewöhnt zu sein, daß dauernd andere Leute hinter ihr her
waren.
»Nun?«
Al befeuchtete seine Lippen.
»Können wir vor die Tür gehen? Ist so’n schrecklicher Lärm hier drin.«
Sie lehnte sich außen an den
Pfosten. »Ich höre.«
»Das ist nett von Ihnen«, sagte
Al. »Ich heiße Al Maycock, Mylady. Es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten
wollte, jemals viel Geld besessen zu haben. Aber sie haben einen Moment
abgepaßt, in dem ich gar keins hatte, und haben mich unauffällig zu einem
Souper eingeladen. Vielleicht wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn ich Sie nicht
wiedergefunden hätte. Aber da Sie die Güte hatten, nach meiner Musik zu tanzen,
sind Sie wohl auch so nett und nehmen Ihr Geld zurück. Wenn Sie sich vielleicht
nicht mehr daran erinnern sollten: Es war heute vor neun Tagen im Little
Paris.«
Pause.
Ob sie so tun würde...?
»Zwölf Shilling fünfzig«, sagte
sie.
Typische Engländerin, dachte Al
und zog die Brieftasche. »Wahnsinnig billig«, sagte er. »Ich hätte mehr essen
sollen.«
Er gab ihr zwei Pfundnoten. Sie
fand Wechselgeld in ihrer Tasche und gab es ihm zurück.
»So«, sagte Al, als er seine
Brieftasche verstaut hatte, »ehe ich jetzt auf dieses Podium zurückmuß, möchte
ich Ihnen noch sagen...«
Er kam nicht dazu, etwas zu
sagen.
»Hast du eine Wette verloren,
June?« fragte eine Stimme hinter ihm. Al fuhr herum.
Eine zweite Dame in Schwarz
schob sich neben sie. Ihr Gesicht mußte dem des Mädchens einmal sehr ähnlich
gewesen sein, aber ihr Haar war schlohweiß und stand wie eine Krone um ihren
Kopf. So imposant und aristokratisch sah sie aus, daß Al unwillkürlich einen
Schritt zurücktrat.
»Nein, Tante Cynthia«, sagte
das Mädchen, und Al sah sie zum ersten Male leicht verwirrt, »es ist nur...
Mister...«
»Maycock«, sagte Al. Er bemühte
sich, ganz zart auszuatmen und nicht direkt in ihre Richtung zu sprechen, um
den Hauch von Gordons gutem Gin vor ihr zu verbergen. Er sah die Augen des
Mädchens auf sich gerichtet.
»Ich habe der Dame einmal
aushelfen dürfen, als sie im Little Paris gegessen und ihr Geld nicht
bei sich hatte. Sie wollte es mir schicken, aber nun haben wir uns zufällig
hier getroffen...«
»Sehr freundlich von Ihnen,
junger Mann. Hast du dich bedankt, June?«
Sie schluckte. »Ich war gerade
dabei...«
Ob sie wütend ist? dachte Al.
Was sollte ich denn sagen, zum Henker? Dann bemerkte er, daß ihm jemand ins
Gesicht starrte. Es war ein älterer Herr mit verkniffenem Gesicht und
mißtrauischen Augen.
»Teufel — Sie kenne ich doch!«
»Habe auch den Eindruck«, sagte
Al.
»Haben Sie mir nicht neulich
das Rad gewechselt? Natürlich waren Sie’s!«
Die alte Dame blickte streng
von einem zum anderen.
»Ich scheine die einzige in der
Familie zu sein, die ihn nicht kennt.«
»Es war an dem Abend, an dem
ich June abholte. Dieser Herr wechselte mir den Reifen. Sonst wäre ich zu spät
gekommen.«
Die alte Dame betrachtete Al
jetzt mit größtem Wohlwollen. »Sie scheinen sehr hilfsbereit zu sein, junger
Mann. Erst helfen Sie meinem Bruder und dann meiner Nichte.«
Alastair schwieg. Mit Unbehagen
bemerkte er ein leichtes Funkeln in den Augen des Mädchens.
»Allerdings«, fuhr Lady Cynthia
fort, und ihre Stimme verdunkelte sich etwas, »ich kann mich nicht erinnern,
Sie eingeladen zu haben. Oder hast du etwa, June...?«
»Es werden noch mehr Leute da
sein, die du nicht eingeladen hast, Cynthia«, sagte der alte Herr fröhlich.
»Warum sollst du’s besser haben als der König auf seinen Bällen. Ungefähr die
Hälfte aller Leute...«
»Nein, nein, Mylady«, sagte Al
schnell. »Ich gehöre zur Band. Zur Aushilfe. Bin für den Lärm mitverantwortlich.«
»Er ist erträglich. Was tun
Sie, wenn Sie nicht mehr aushelfen müssen?«
»Wenn ich — oh — ich bin
Journalist, Mylady.«
»Bei welcher Zeitung?«
»Sie wird noch gegründet.«
»Verstehe, Mr. Maycock — ich
könnte jemanden gebrauchen, der mir hilft, den Schreibkram zu erledigen, und
sich nebenbei um den Wagen kümmert, ehe meine Angehörigen ihn vollständig
ruinieren. Wenn Ihre Aushilfe zu Ende ist, und Sie eine Stelle brauchen,
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