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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aufbäumender Geist durchbricht, himmelanstrebend, die von sozialer Anmaßung gezogenen Schranken und steigt, Asche und Schlacken von sich schleudernd, in stolze Höhe wie der Lichtstrom, welcher dem Krater entflutet, um zu verkünden, daß der Boden unterhöhlt und den ewigen Gesetzen der Natur kein dauernder und siegreicher Widerstand zu leisten sei. Ich könnte alles, alles, was ich bin und habe, von mir werfen, um zu seinen Füßen sitzen und dem Flug seines Genius folgen zu dürfen. Ich frage nicht nach seinem Namen, nicht nach seinen Ahnen; ich empfinde nur den Wohllaut und die unwiderstehliche Macht seiner Rede und fühle, daß meine Seele ihm bei jedem seiner Worte zurufen möchte: Du bist so groß, und ich bin so klein, klein, klein!“
    „Einem so egozentrischen und dabei unlenkbaren Wesen wie du muß man selbst eine Überspanntheit, wie die gegenwärtige, verzeihen.“
    „In mancher Beziehung mag ich vielleicht etwas ungewöhnlich und schwer zu lenken sein, Mama; doch ist das wohl nicht meine eigene Schuld. Den Ausdruck ‚Überspanntheit‘ aber darf ich selbst dir nicht gestatten.“
    „Ach so?“ fragte die alte Dame mit scharfer Betonung. „Du beabsichtigst, mich zu hofmeistern. Liegt hierin nicht etwas der Überspannung Ähnliches?“
    „Es kann nicht meine Absicht sein, dich zu korrigieren; aber ebensowenig dulde ich ein Urteil, welches ich aus dem Mund der Mutter am allerwenigsten zu hören erwarte.“
    „Und doch hast du keine Berechtigung, dich in deiner Würde verletzt zu fühlen, denn du selbst beleidigst ja diese Würde durch Unziemlichkeiten, welche haarsträubend wirken möchten. Denke nur an gestern. Ich nehme natürlich daraus Veranlassung, dich so bald wie möglich unter die strenge Vormundschaft eines Mannes zu stellen, dessen ernste Festigkeit dir mehr imponieren wird, als meine leider allzu schwache und schonende Nachsicht.“
    „Bitte, Mama, laß das! Du hast diesen Verweis heute schon so oft wiederholt, daß er notwendig seine Schärfe verlieren muß. Wie man das Bäumchen zieht, so wird es wachsen, und mit Vorwürfen sind die Fehler der Erziehung nicht wieder gut zu machen.“
    „Mädchen! Das wagst du?“
    „Bei dieser Art von erzwungener Verteidigung kann von einem Wagnis keine Rede sein.“
    „Verteidigung? Sprich weiter! Die zweite Frau deines Vaters hat wohl das Recht, diesen Befehl auszusprechen!“
    „Wiederhole dir meine Worte, und du wirst alles haben, was dir zu wissen nötig ist. Das Opfer der vornehmen Tradition verschmäht es, ein weiteres Wort zu verlieren. Adieu!“
    „Halt, bleib! Du bist kurz, ich will es auch sein. Bist du vielleicht gewillt, dieses sogenannte Opfer rückgängig zu machen?“
    „Nein; ich gab mein Wort und werde es halten.“
    „So wirst du deinen faux pas durch verdoppelte Aufmerksamkeit gegen den Baron gut zu machen wissen. Er wird in kurzer Zeit hier sein, um dich auf deinem gewöhnlichen Spaziergang zu begleiten.“
    „Die größte Aufmerksamkeit, welche ich ihm erzeigen kann, besteht in der vollständigen Verzichtleistung auf seine Gesellschaft. Ich bin ihm unbehaglich.“
    Sie wandte sich zur Tür und verließ kurze Zeit darauf das Haus. – – –
    Winter saß in seiner Stube und blätterte in den Kehrlisten; aber seine Gedanken schienen nicht bei den Namen und Hausnummern zu sein, welche auf dem Papier standen. Sie verweilten vielmehr bei jenem Tag, an welchem der ‚selbstbewußte Knabe‘ mit dem wilden, reizenden Mädchen durch den Wald gestrichen und in ihrer Nähe so glücklich gewesen war.
    Er gedachte der Enttäuschung, die ihn dann am Abend erwartet hatte, als er den Paten krank und sterbend fand und also hilflos und verlassen zurückkehren mußte in die große Stadt, in welcher niemand sich seiner annehmen wollte.
    Sein Vater war ein wohlangesehener Schornsteinfegermeister gewesen. Emil hatte als Knabe öfter die Gesellen begleitet und war mit ihnen in den Essen und auf den Dächern herumgestiegen. Er besaß einen gewandten, kräftigen Körper, ein schwindelfreies Auge und genug Energie, um jetzt zu einem raschen Entschluß zu gelangen.
    Weder von der Mutter und den Schwestern, noch von dem Bruder, welcher auf Jahre hinaus mit der eigenen Not und Sorge zu kämpfen hatte, durfte er Unterstützung erwarten, und so ging er zu einem Kollegen des verstorbenen Vaters, um bei ihm als Geselle einzutreten.
    Aber damit hatte er nicht dem Ziel entsagt, nach welchem zu streben seine Aufgabe gewesen war. Er gehörte vielmehr

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