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41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

Titel: 41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Ferr
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sprach nicht über die Männer mit anderen Huren, ich lungerte nicht provokant im Hauseingang herum und pries meine Vorzüge an. Ich spuckte keine vulgären Schimpfworte aus dem Fenster und schrubbte nicht in eindeutigen Posen den Boden im Bistro. Mit einem Wort – ich verhielt mich unauffällig, gab den Rivalen keinen offensichtlichen Anlass zu Racheakten. Niemand wusste genau, wie viele Männer ich täglich bediente, welches Geschäft ich den anderen wegnahm. Also ließen sie mich im Großen und Ganzen in Ruhe. Hin und wieder gab es Verletzte in der Rue Loubert, vor allem Stich- und Schnittwunden, aber das kommt nun mal vor im Rotlichtviertel. Darüber wundert sich keiner und die Betroffenen haben selbst genug Dreck am Stecken und sind froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. So läuft das in Wirklichkeit, Monsieur Inspecteur! Hab ich Ihnen nun den Glauben an das Gute im Menschen genommen? Das kann ich mir nicht vorstellen, sind Sie doch täglich mit den Niederungen der menschlichen Seele befasst!“
    Spöttisch lehnte sich Louise zu Marcel vor und lege ihre Hand auf seine. Mit ihrem Zeigefinger streichelte sie langsam über seinen Handrücken. Er war nicht im Stande, seine Hand zurückzuziehen, bewegte sie nicht, um Louise keinen Grund zu geben, ihre Finger wieder wegzunehmen.
    Sie winkte mit ihrer freien Hand nach Emile.
    „Emile, bring uns bitte deinen Spezialkaffee. Marcels Kreislauf benötigt eine kleine Starthilfe und ich einen Munterhalter für den Nachmittag.“
    Emile deutete eine minimale Verbeugung an und Louise konnte erkennen, dass er sich bemühte, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
    Marcel richtete sich etwas auf, achtete dabei aber sorgsam darauf, seine Hand wie festgenagelt unter Louises liegen zu lassen, seufzte und erkundigte sich gezwungen lässig: „Und weiter?“
    „Was weiter?“
    „Wie geht Ihre Geschichte weiter? Wie konnten Sie sich zu der Frau entwickeln, die Sie heute sind? Warum sind Sie nicht unter die Räder gekommen, wie die meisten der anderen Mädchen auch?“
    „Weil es bei mir keine sexuellen Tabus gab? Weil ich darauf Wert legte, sauber und gepflegt zu sein trotz des Drecks, der mich umgab? Weil ich verschwiegen war? Weil ich bescheiden blieb? Weil ich anfangs nicht wählerisch war? Weil mein Körper wegen des vor Ekel ständigen Erbrechens nach den Besuchen der widerwärtigsten Männer schlank blieb? Weil ich nicht mit Hilfe von Drogen oder Alkohol der Verzweiflung entkommen wollte? Es gibt viele Gründe dafür, warum ich mich von den anderen unterschied. Aber der wichtigste ist wohl, dass ich auch Glück hatte.
    Nach einer feuchtfröhlichen Feier im Bistro brachte mir eine Gruppe von ausgelassenen Studenten einen betrunkenen Kommilitonen in meine Kammer. Sie sagten, er wäre noch unschuldig und sie hätten ihm zu seinem bestandenen Abschluss die Entjungferung bezahlt. Er war ein hübscher Knabe, aber so schwer angeschlagen, dass er nicht mehr gehen und schon gar nicht stehen konnte. Sie legten ihn auf meine Matratze, gaben mir so viel Geld, wie ich noch nie erhalten hatte und verschwanden unter lautem Gelächter und Gegröle. Er schlief sofort ein und schnarchte dabei erbärmlich. Ich legte mich neben ihn auf den Boden und schlief ebenfalls ein. Ein paar Stunden später erwachte ich, weil er aufgehört hatte zu schnarchen. Er schwitzte stark, atmete mühsam und röchelnd und war nicht bei Bewusstsein. Seine Lippen waren bleich und er zitterte am ganzen Körper. Anfangs dachte ich, er hätte Fieber oder eine Alkoholvergiftung, aber er hatte seine Hosen nass gemacht und es stank auch furchtbar nach Fäkalien. Ich fand in seinem Anzug eine Brieftasche mit Geld und seinem Studentenausweis. Die Adresse, die darauf angegeben war, lag im siebenten Arrondissement, also dem teuersten und vornehmsten Bezirk von Paris. Wir hatten damals noch kein Telefon im Bistro und ich wollte auch keinen Arzt oder die Polizei holen, das hätte nur dem Ruf des Jungen geschadet. Die Metros fuhren nicht mehr, also rannte ich den ganzen Weg zu Fuß, bis ich zu einer prunkvollen Villa inmitten eines wunderschönen Parks kam, der von einem schmiedeeisernen Zaun mit imposantem Tor umgeben war.
    Ich hatte so etwas noch nie aus der Nähe mit eigenen Augen gesehen. Auf dem goldenen Schild war in feinen Lettern der Name eines berühmten Arztes eingeprägt. Ich musste lange klingeln, bis das Tor geöffnet wurde und der Butler wollte mich anfangs gar nicht in das Haus lassen. Erst als ich die Brieftasche

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