434 Tage
gar nichts“, sage ich bestimmt. „Und wenn man es einmal genau nimmt, dann hast du mir von diesem Verlagen und den Möglichkeiten und den anderen Frauen, die du hättest haben können und vielleicht auch haben wollen, ja auch nichts gesagt.“ Ich ziehe an der Zigarette. „Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass ich das getan habe, worüber du nur nachgedacht hast. Und das spiegelt ziemlich genau wider, wie unterschiedlich wir beide sind. Ich tue es und du denkst darüber nach. Sonst unterscheidet uns nichts.“
„Soll das etwa heißen, dass es besser gewesen wäre, wenn ich dich auch hintergangen hätte?“, fragt er irritiert. „Wie krank ist das denn? Das sagst du nur, weil du dann Gesellschaft hättest auf deinem... deinem Ehebrecher-Boot.“
Ich muss unfreiwillig lachen. „Auf meinem was?“
„Du weißt schon, was ich meine.“
„Deine Assistentin...“, sage ich noch immer lächelnd.
„Was ist mit ihr?“
„Sie war eine von denen, die nicht nein gesagt hätten, richtig?“ Im Grunde muss ich das nicht fragen. Sie hatte immer diesen gewissen Gesichtsausdruck. Den erkenne ich, wenn ich ihn sehe. „Du brauchst nicht zu antworten“, sage ich nach einer Weile. „Ich weiß sowieso, dass ich recht habe.“
Ein paar Sekunden schweigen wir, dann fragt er, „Und du bist wirklich nicht bei ihm?“
„Denkst du denn tatsächlich, er sitzt gerade neben mir und wartet, bis wir das Telefonat beendet haben?“
„Hast du es vor?“
„Was? Zu ihm zu fahren? Ich habe gerade etwas anderes zu tun“, sage ich ausweichend, weil ich nicht weiß, was ich vorhabe. „Ich werde morgen eine Wohnung suchen und meinen Job kündigen.“
„Du kündigst?“, fragt er perplex. „Hat er dich dazu gebracht?“
„Nein, Tobias, ich bin ja nicht seine Marionette“, sage ich gereizt.
„Das habe ich auch nicht gemeint.“
„Ich weiß“, sage ich und atme tief durch. „Tut mir leid.“
„Und? Hat er?“
„Ja, zumindest teilweise.“
„Das hätte ich sein sollen...“ Dann schweigen wir wieder. „Anja?“
„Hm?“
„Du kannst nach Hause kommen. Zumindest bis zu etwas Neues gefunden hast. Wenn man es genau nimmt, ist es sowieso dein Haus.“
„Es ist vermutlich besser, ich nehme mir einfach ein Hotelzimmer.“
„Das sehe ich anders. Ein Hotelzimmer bringt dich näher zu ihm.“
Kapitel 28
Ich liege heulend auf dem Bett. Was ist, wenn es ein Fehler war? Ich meine, er ruft immer und immer wieder an. Vielleicht lernt er ja doch keine andere kennen? Und vielleicht schaffen wir es ja wirklich. Ich meine, wir sind seit fünf Jahren zusammen. Wäre doch möglich, dass wir das hinkriegen. Dann denke ich an manche Dinge, die Julian gesagt hat und bin mir wieder sicher, dass ich mich richtig entschieden habe. Wenn man es genau nimmt, hat er mir die Entscheidung abgenommen.
Meine Nase ist so verstopft, dass ich nicht mehr richtig atmen kann und meine Augen fühlen sich an wie kleine Luftkissen. Ich stehe auf und gehe ins Bad. Dort inspiziere ich meine gefleckte Haut und meine aufgedunsenen, knallroten Augen. Oder das, was von ihnen übrig ist. Es wird besser. Bestimmt. Ich werde aus dieser Wohnung ausziehen und mir einen Ort suchen, der ganz alleine mir gehört. Und in acht Wochen werde ich anfangen, BWL zu studieren. Etwas Handfestes. Lieber etwas Solides, etwas mit Zukunft. Journalismus ist sowieso eine weiche Wissenschaft. Vielleicht hatte Julian recht damit.
Und wieder klingelt das Telefon. Ich frage mich, ob er meinen Brief bereits bekommen hat. Vermutlich nicht. Andererseits, vielleicht ruft er deswegen an. Warum sonst sollte er mich anrufen, wo er doch in der aufregendsten und tollsten Stadt der Welt ist? Wer hat denn da noch Zeit, bei seiner Freundin anzurufen, die man vorsorglich lieber zu Hause gelassen hat?
…
Ich kann nicht schlafen. Alle paar Minuten werfe ich mich von einer Seite auf die andere. Ich habe die Bettwäsche umgedreht, mir etwas zu trinken geholt. Ich habe sogar eine Benjamin Blümchen Kassette eingelegt. Nichts. Ich bin hellwach.
In meinen Gedanken war Julian nie glücklicher. Er ist frei und kann tun und lassen, was er will. Ich stelle mir vor, was er alles erlebt, wie er Frauen nachsieht und wie er sich in diese fremde Stadt verliebt. Erst in sie und dann in eine aufregende, kreative New Yorkerin.
Ich stehe auf und gehe ins Bad. Warum ich das tue, weiß ich auch nicht. Keine Ahnung. Vielleicht lenkt mich das Bad besser ab als das Schlaf-, Wohn-, Ess-,
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