434 Tage
noch einmal bei uns versucht. Und wieder bist du nicht da. Ich könnte jetzt scherzen, dass du hoffentlich nicht bei einem anderen bist, aber mir ist nicht nach scherzen zumute. Und was, wenn dir etwas passiert ist? Ich rufe dich noch einmal an. Es klingelt. Noch vier Mal, dann lege ich auf. Okay, dann eben acht Mal. Mensch, Kleines, wo steckt du nur?
Ich war die vergangenen Monate ziemlich mit mir selbst beschäftigt. Und im Flugzeug ist mir aufgefallen, dass ich dich gar nicht gefragt habe, ob du den Studienplatz bekommen hast, oder nicht. Ich hoffe, es hat geklappt. Und ich hoffe, du bist nicht wütend, dass ich es vergessen habe. Ich weiß, dass dir das sehr wichtig ist und es tut mir leid, ich hätte das nicht vergessen dürfen. Und es tut mir auch Leid, dass ich gesagt habe, Journalismus wäre eine weiche Wissenschaft. Da hat mein Vater aus mir gesprochen. Wenn man es genau nimmt, halte ich das nämlich für absoluten Schwachsinn.
Es ist inzwischen nach zwei Uhr morgens. Um halb sieben muss ich aufstehen. Aber ich kann nicht schlafen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie laut es hier ist. Diese Stadt schläft wirklich nie. Und sie hält mich vom Schlafen ab. Nein, das stimmt nicht. Eigentlich hältst du mich vom Schlafen ab. Wenn ich dich erreicht hätte, würde es mir besser gehen. (Dann wäre es immer noch laut und ich würde mich allein und einsam fühlen, aber trotzdem besser.)
Ich werde es jetzt ein letztes Mal versuchen und dann noch mal morgen auf dem Weg in die Kanzlei (in die ich ungefähr so gut passe, wie ein Eskimo in den Dschungel). Ich sehe absolut albern aus, wenn ich Krawatten trage. Wie ein Hochstapler. Es ist meine Arbeitsverkleidung.
Ach Maus, was habe ich mir bloß dabei gedacht? Und wieder gehst du nicht dran. Ich hoffe, dass es dir gut geht. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl im Bauch. Mein Verstand sagt sich, dass schon nichts passiert ist, aber mein Bauch denkt, dass da etwas nicht stimmt.
Ich werde mich jetzt in mein ekliges Bett legen (seit ich hier bin, schlafe ich mit langärmligen T-Shirts und einer Hose, weil ich den Gedanken widerlich finde, dass diese stinkende Decke meine Haut berühren könnte). Und so undicht wie die Fenster hier sind, schadet es auch nicht, sich etwas wärmer einzupacken. Ich werde jetzt schlafen. Ich werde die Augen schließen und mir vorstellen, dass du neben mir liegst. Ich konzentriere mich einfach auf das Geräusch deiner Füße, die du wie jeden Abend gegen die Decke reibst.
Ich liebe dich und du fehlst mir unbeschreiblich.
Julian
Kapitel 30
Die Blätter färben sich. Es wird Herbst. Und noch immer erwische ich mich dabei, wie ich in Gedanken versunken nach meinen Muschel-Anhänger greife. Ich sitze bei der U-Bahn und warte. Meine Vorlesung ist gerade vorbei. Und sie war genauso langweilig wie alle anderen. BWL ist wahrscheinlich nicht das richtige für mich. Aber seltsamerweise liegt es mir. Das passt wieder perfekt.
Ich sehe Caro den Bahnsteig entlang gehen. Als sie mich entdeckt, winkt sie mir und kommt langsam auf mich zu. Seit Kai sie verlassen hat, ist sie nicht mehr dieselbe. Doch heute strahlt sie.
„Du bist glücklich“, sage ich und versuche den erstaunten Unterton zu verbergen.
„Ja, das bin ich.“ Sie lächelt mich an. „Tut mir leid, wie ich die letzten Monate war.“
Genau deswegen habe ich Julian verlassen. Aus diesem Grund. „Du musst dich nicht entschuldigen.“
„Doch, das muss ich.“ Sie legt ihre Hand auf meine. „Ich war völlig daneben und ich muss dich zu Tode genervt haben.“ Ich schüttle den Kopf, doch eigentlich hat sie recht. Ich finde aber, das muss sie nicht wissen. „Du wirst nicht glauben, was passiert ist.“
„Wieso, was denn?“
„Kai und ich sind wieder zusammen.“
„Wie bitte?“, frage ich entgeistert.
„Ja, wir wollen es noch einmal versuchen.“
„Und du denkst, das klappt? Ich meine, nimm es mir nicht übel, aber er hat dich verlassen und du gehst einfach so zu ihm zurück?“ Vielleicht ist das nicht fair. Vielleicht beneide ich sie. Ich habe nie wieder etwas von Julian gehört. Kein Brief, kein Anruf. Nichts. Ich weiß auch nicht, was ich mir erwartet habe. Oder erhofft. Vielleicht wollte ich, dass er um mich kämpft. Oder dass er zurückkommt. So wie im Film. Da tun Männer nämlich immer das richtige. Sie steigen ins Flugzeug und lassen für die Frau, die sie lieben, alles hinter sich. Pah. Für die Frau, die sie lieben. Tja. Julian hat das nicht getan. Ich denke ja,
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