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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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lange bevor mein Kopf es kapiert hat.
    Und da heute der zweite Teil unserer Beziehung (ich denke, das man durchaus so nennen kann) zu Ende geht und ich, wie beim ersten Mal, nicht geahnt habe, dass es passieren würde, zumindest nicht, wann genau es passieren würde, ist heute der richtige Zeitpunkt gekommen, dir diese Briefe zu geben. (Zumindest hoffe ich, dass es der richtige ist.)
    Meine liebe Anja, ich bin dankbar um Genf. Und ich bin dankbar, dass du auch das zweite Mal den entscheidenden Schritt gemacht hast. Ich hätte es vermutlich nicht getan und das sicher nicht, weil ich es nicht wollte. Ich bin eben besser im Provozieren. Unsere Beziehungen haben immer mit Küssen begonnen. Und beide Male hast du mich geküsst. Wenn es um dich geht, bin ich eben doch nicht so selbstsicher, wie ich gerne tue.
    Es ist mir wichtig, dass du weißt, dass das vergangene Jahr für mich eines der schönsten und eines der schlimmsten meines Lebens war. Zu wissen, dass du jedes Mal zu ihm zurückgehst, war grauenhafter, als du es dir jemals vorstellen kannst. Aber die Tatsache, dass du immer wieder zu mir zurückgekommen bist, hat es erträglich gemacht.
    Ich habe mehrfach mit dem Gedanken gespielt, es zu beenden. Aber ich konnte es nicht. Obwohl es das richtige gewesen wäre. Ich weiß, dass es dir genauso ging. Und ich muss zugeben, dass ich jedes Mal Angst hatte, dass du es dieses Mal tatsächlich tun würdest. Es ist an der Zeit, dass ich endlich weitergehe. Wenn man es nämlich genau nimmt, bin ich das nicht, auch, wenn ich es mir immer mal wieder erfolgreich eingeredet habe. Im Grunde, stehe ich seit Jahren an derselben Stelle. Und ich denke, die Zeit ist reif.
    Ich habe in den letzten Jahren öfter an dich gedacht, als du es dir vorstellen kannst. Vielleicht gebe ich dir diese Briefe, weil ich hoffe, dass das dann das Ende unserer Geschichte ist. Ein Ende, bei dem du mich so in Erinnerung behältst, wie ich bin.
    Und das ist nicht der Mensch, den du teilweise im Kopf hast. Dieses Bild von mir mag ich nicht. Und ich habe bis heute Abend gebraucht, um mir darüber klar zu werden, dass du gar kein anderes Bild von mir haben konntest. Das echte Bild, habe ich ziemlich tief in mir vergraben. Wenn du die Briefe gelesen hast, bist du die einzige Person außer mir, die dieses Bild je gesehen hat.
    Leb wohl, Anja. Ich werde dich nie vergessen. Ich wünsche mir, dass du glücklich bist (sogar, wenn das bedeutet, dass du bei ihm bleibst).
    Ich liebe dich.
    Julian
    Ich lege den Brief neben mich und starre ins Bad. In mir tut alles weh. Es fühlt sich so an, als wäre das Eichhörnchen gerade gestorben. Und während meine Augen weinen, rastet mein Dämon aus. Er bestraft mich. Und irgendwie habe ich das auch verdient.
    Mein Blick fällt auf den Karton. Ich kann keine Umschläge mehr erkennen. Alles ist verschwommen. Blind greife ich nach dem nächsten Brief und betrachte die Rückseite. ‚Nummer 2’ und in Klammern dahinter ‚eigentlich war das der erste’.
    Ich atme tief ein und stoße die Luft langsam aus meinen Lungen, dann öffne ich den zweiten Umschlag.
    Meine kleine Maus,
    ich mache mir langsam Sorgen um dich. Seit drei Tagen versuche ich dich zu erreichen. Ich habe es sogar bei deinem Bruder und deiner Mutter versucht. Und auch dein Vater weiß nicht, wo du bist.
    Ich werde es später noch einmal probieren. Vielleicht bist du einfach unterwegs und genießt, dass ich nicht da bin. Ich vermisse dich. Ich vermisse dich schrecklich.
    Jetzt bin ich also in New York. Hm. Ja, die Stadt ist beeindruckend, sie ist überlebensgroß und erschlägt mich. Und ich fühle mich kleiner und einsamer als jemals zuvor. Ich wusste nicht, wie einsam man sein kann. Ich hatte ja keine Ahnung. Und irgendwie frage ich mich, warum ich mir unbedingt beweisen musste, dass ich das hier schaffen kann. Allein. Ich weiß auch nicht, wem genau ich es eigentlich gerade beweise.
    Ich habe gerade alleine gekocht und alleine gegessen. Und jetzt werde ich alleine fernsehen. (Der Fernseher ist eher ein Daumenkino, aber immerhin ist es mein Fenster zur Außenwelt).
    Es heißt immer, wenn man es in New York schafft, kann man es überall schaffen. Ich glaube das stimmt. Das ist ein ziemlich raues Pflaster. New York schert sich einen Dreck um mich. Ich kenne niemanden. Und während ich hier sitze und an dich denke, wird mir klar, dass du der einzige Mensch bist, der mir wirklich fehlt. Du bist der Mensch, den ich gerne bei mir hätte. Immer. Überall.
    Habe es gerade

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