44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
geworden. Jetzt hing sein Auge angstvoll an dem Gesicht Juarez'. Die Seinen standen stumm in der Ecke und erwarteten klopfenden Herzens das Kommende. Endlich war Juarez fertig mit dem Lesen. Er erhob sich von seinem Sitz und fragte den Haziendero:
„Du hast diese Briefe empfangen?“
„Ja.“
„Und gelesen? Und beantwortet?“
„Ja.“
„Du hast vorhin gelogen, du bist ein Anhänger des Präsidenten. Du bist Mitglied einer Verschwörung gegen die Freiheit des Volkes. Hier hast du deinen Lohn!“
Damit zog er eine Pistole hervor, zielte und drückte ab. Der Haziendero stürzte, durch die Stirn getroffen, zu Boden. Ein lauter, vielstimmiger Schrei des Entsetzens erscholl. Er wurde ausgestoßen von den Verwandten des Gerichteten. Juarez aber wandte sich mit unerschütterlicher Ruhe und Kälte an diese:
„Schweigt! Auch ihr seid schuldig, aber ihr sollt nicht sterben. Ihr verlaßt das Haus. Ich konfisziere diese Hacienda mit allem, was dazu gehört, als Eigentum des Staates. In einer Stunde müßt ihr fort sein. Ich gewähre euch Pferde, auf die ihr euer Eigentum packen könnt. Auch euer Geld dürft ihr mitnehmen. Jetzt fort aus meinen Augen!“
„Dürfen wir den Toten mitnehmen?“ fragte jammernd die Frau.
„Ja. Jetzt aber packt euch!“
Die Leute nahmen ihren Toten auf, trugen ihn hinaus, und als die Stunde vergangen war, verließen sie tränenden Auges die Hacienda. Jetzt gab Juarez dieselbe seinen Soldaten frei, und es wurde geplündert, so lange etwas zu finden war. Dann schlachtete man einige Rinder und begann im Freien nach Herzenslust zu schmausen.
Juarez war unterdessen in dem Zimmer geblieben, während Verdoja die Plünderung beaufsichtigt hatte. Als er nun bei dem Indianer eintrat, sagte dieser:
„So müssen alle enden, die gegen das Wohl des Vaterlandes sündigen. Verdoja, seid Ihr treu?“
Er richtete dabei einen wahren Tigerblick auf den Gefragten. Dieser antwortete ruhig.
„Ja, Señor; das wißt Ihr.“
„Gut. Ich werde Euch eine Aufgabe erteilen. Habt Ihr Mut?“
„Hm“, lächelte der Hauptmann. „Habt Ihr mich einmal erbleichen sehen?“
„Nein, und darum werdet Ihr es zu hohen Ehren bringen. Kennt Ihr die Provinz Chihuahua genau?“
„Ich bin dort geboren und habe daher an der Grenze meine Besitzungen.“
„Gut. Ihr werdet Euch nach der Hauptstadt gleichen Namens begeben und meine Interessen dort vertreten. Wir trennen uns heute. Zuerst aber begleitet Ihr mich nach der Hacienda del Erina.“
„Reise ich mit Militärbegleitung!“
„Ihr erhaltet eine Schwadron, mit der anderen kehre ich zurück. Vorwärts!“
Eine Minute später saßen sie zu Pferde und ritten, nur von einigen Lanzenreitern begleitet, fort. Einer der anwesenden Vaqueros mußte den Führer machen.
Als sie die Hacienda erreichten, waren sie bereits bemerkt worden. Da die Bewohner derselben gewitzt waren, so hatten sie das Tor fest verschlossen. Juarez selbst klopfte an.
„Wer ist draußen?“ fragte Arbellez von innen.
„Soldaten! Öffnet!“
„Was wollt Ihr?“
„Alle Teufel, wollt Ihr öffnen, oder nicht?“
Sternau, Helmers und Mariano standen neben dem Haziendero.
„Soll ich öffnen?“ fragte dieser leise.
„Ja“, antwortete Sternau. „Es sind ja nur einige Reiter.“
Als das Tor offen war und Juarez in den Hof ritt, musterte er mit funkelndem Auge die Leute, die vor ihm standen.
„Warum gehorcht ihr nicht?“ donnerte er.
„Wir kennen Euch nicht“, antwortete Arbellez. „Seid Ihr einer, dem man zu gehorchen hat, Señor?“
„Ich bin Juarez. Kennt Ihr meinen Namen?“
Arbellez verbeugte sich ohne alle Verlegenheit und antwortete:
„Wohl kenne ich ihn. Verzeiht, daß wir nicht sogleich öffneten. Tretet in mein Haus; Ihr seid uns willkommen.“
Er geleitete die beiden Gäste nach dem Salon, wo sie sich ohne Umstände niederließen. Trotz des freundlichen Empfanges hatte Juarez seine finstere Miene nicht verloren und fragte:
„Saht Ihr uns kommen?“
„Ja Señor.“
„Und Ihr saht, daß wir Soldaten sind?“
„Ja, das sahen wir.“
„Und Ihr öffnetet trotzdem nicht? Das verdient Strafe!“
„Oh, Señor, der Präsident hat auch Soldaten. Diese würden mir nicht willkommen sein. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie es selbst waren.“
Juarez' Züge heiterten sich auf.
„Also, ich bin Euch wirklich willkommen.“
„Von Herzen.“
„Warum?“
„Weil Sie eine feste Hand haben, Señor, und diese fehlt unserem armen Land.“
„Ja. Diese feste Hand
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