44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
ab. Der Hauptmann aber begab sich in Juarez' Quartier und erhielt dort bald den Befehl, Cortejo zu holen. Als dieser eintrat, stand der Indianer mitten in dem Zimmer und empfing ihn mit finsteren Mienen.
„Weißt du, wem du dein Leben zu verdanken hast?“ fragte er ihn.
„Ich weiß es. Ich hätte es unschuldigerweise verloren.“
„Schweig! Señor Verdoja hat sich auch weiter für dich verbürgt. Du willst nach Mexiko?“
„Ja.“
„Man soll dort nicht wissen, daß ich hier in El Oro war, aber man wird es durch dich erfahren. Ich darf dich also nicht von mir lassen.“
„Señor, ich werde schweigen!“
Der spätere Präsident machte eine verächtliche Handbewegung und sagte geringschätzig:
„Ein Weißer schweigt nie, nur ein Indianer weiß Herr seiner Zunge zu sein. Ein Weißer hält höchstens dann sein Wort, wenn er es beschworen hat.“
„So will ich schwören, Señor.“
„Gut, schwöre!“
Cortejo mußte die Hand erheben und beschwören, daß er von dem Zusammentreffen mit Juarez nichts verraten wolle. Erst jetzt schien der letztere ihm zu glauben.
„Jetzt kannst du gehen“, sagte er. „Nimm deine Leute mit und merke dir, daß du für sie verantwortlich bist!“
Einige Minuten später saß Cortejo zu Pferd und verließ El Oro auf der entgegengesetzten Seite, wo er gestern eingeritten war. Die Freischärler begleiteten ihn, denn es sollte ja niemand wissen, daß sie mit dem Hauptmann in Beziehung standen. Erst nach einiger Zeit trennten sie sich von Cortejo und suchten auf einem Umweg die Richtung nach der Hacienda del Erina zu gewinnen.
Sie waren bis jetzt unglücklich gewesen in ihren Absichten auf die Hacienda, jetzt aber brannten sie vor Begierde, sich für das Erlebte reichlich zu entschädigen.
Kurz nach Cortejos Abreise verkündigte der Ton einer Trompete den Aufbruch. Die Lanzenreiter bestiegen ihre Pferde. Juarez setzte sich mit den Offizieren an die Spitze, und dann flogen sie auf ihren halbwilden Tieren über die Ebene dahin wie die Windsbraut, der niemand widerstehen kann.
Es waren damals gar schlimme Zeiten für Mexiko. Es hatte sich längst vom Mutterland Spanien losgesagt und sich einen eigenen Herrscher gegeben, aber es hatte nicht die Kraft, ein selbständiger Staat zu sein. Ein Präsident verdrängte den anderen, die Finanzen befanden sich im schlechtesten Zustand, das Beamtentum war korrumpiert, es herrschte weder Treu und Glauben, noch Gehorsam im Land. Kein Militär wollte gehorchen, jeder Offizier wollte regieren, und jeder General wollte Präsident sein.
Wer an das Ruder kam, der suchte das Land schleunigst auszusaugen, denn er wußte, daß ihm nicht viel Zeit dazu übrig bleibe. Der Nachfolger tat ganz dasselbe, ebenso der Statthalter jeder einzelnen Provinz. Zuletzt wußte kein Untertan mehr, wem er zu gehorchen habe, und am wohlsten befanden sich die Hazienderos, die die entlegensten Gegenden bewohnten.
Mitten in diesem Wirrwarr war Juarez aufgetaucht und erlangte bald einen solchen Einfluß, daß er, obgleich er nichts weniger als Präsident war, sogar mit der Regierung der Vereinigten Staaten Traktate abschloß. Er war bald hier, bald dort, um für sich zu werben, um zu belohnen oder zu bestrafen, und ein solcher Zweck führte ihn auch heute nach der Hacienda Vandaqua.
Als die Lanzenreiter dort ankamen, erregte ihr Anblick allgemeinen Schreck. Juarez stieg vom Pferd und trat, gefolgt von einigen Offizieren, in das Haus. Der Besitzer desselben befand sich mit seiner Familie beim zweiten Frühstück, als der Fürchterliche bei ihm eintrat.
„Kennst du mich?“ fragte der Indianer streng.
„Nein“, antwortete der Haziendero.
„Ich bin Juarez.“
Bei diesen Worten erbleichte der Mann.
„O heilige Madonna!“ rief er.
„Rufe die Madonna nicht, es ist vergebens; sie wird dir nicht helfen!“ sagte Juarez finster. „Du bist ein Anhänger des Präsidenten?“
Der Mann erbleichte.
„Nein“, sagte er.
„Lüge nicht!“ donnerte ihn der Indianer an. „Stehst du mit seinen Anhängern in Briefwechsel?“
„Nein.“
„Ich werde mich überzeugen. – Sucht!“
Das letzte Wort war an die Offiziere gerichtet. Diese winkten einige der Mannschaften herbei, und nun begann eine genaue Untersuchung des ganzen Hauses. Nach einiger Zeit kam einer der Offiziere mit einem Paket Briefe herbei, die er dem Indianer wortlos überreichte. Dieser nahm sie ebenso wortlos entgegen und las sie. Als der Haziendero die Briefe bringen sah, war er totenbleich
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