44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
gleichgültig macht, ob sie in einem weichen Bett, in einer einfachen Hängematte, oder auf der harten Erde liegen.
Kapitän Verdoja wurde mit seinen Offizieren in den Salon geführt; dann trat nach dem Willkommentrunk die alte Hermoyes ein, um die Herren nach ihren Zimmern zu führen. Emma Arbellez hatte das Krankenbett des Geliebten verlassen, um diese Zimmer noch einmal zu revidieren, ob sich alles in Ordnung befinde. Sie stand in dem Raum, welcher dem Kapitän zugewiesen wurde. Sie hörte seine Schritte; es war zu spät, sich zurückzuziehen.
Er öffnete die Tür, um einzutreten, da sah er sie in der Mitte des Zimmers stehen. Sie war vorher bereits schön gewesen, jetzt aber hatte die Sorge um den Geliebten ihren Zügen etwas Bewegt-Inniges aufgeprägt, welches den Eindruck ihrer Erscheinung noch um ein Bedeutendes steigerte. Die Sonne sank soeben hinter dem Horizont hinab; ihre letzten Strahlen drangen durch das Fenster herein und umflossen die Gestalt des schönen Mädchens in einem rosig goldenen Schein. Es war, als ob die Königin des Tages ihre schönsten Strahlen hereinsende, um auf die schwellenden Lippen der Holden einen Abschiedskuß zu drücken. Verdoja blieb überrascht stehen. Das war ein Bild, wie es die Hand des größten Künstlers nicht auf die Leinwand zu werfen vermochte. Er fühlte sich ergriffen und gepackt, aber nicht von jenem reinen, heiligen Gefühl, welches das Schöne liebt und zugleich ehrt, sondern von einer plötzlichen, leidenschaftlichen Empfindung, wie sie dem Herzen eines in Genußsucht und Frivolität versunkenen Menschen eigen ist.
Emma verbeugte sich errötend und bat mit lieblich klingender Stimme:
„Treten Sie näher, Señor! Sie befinden sich in Ihrer Wohnung.“
Er gehorchte dieser Aufforderung und verbeugte sich mit dem Anstand eines gewandten, im Umgang mit dem schönen Geschlecht erfahrenen Kavaliers.
„Ich bin entzückt, meine Wohnung durch die Anwesenheit der Schönheit geweiht zu sehen“, antwortete er, „und bitte um Ihre milde Verzeihung, daß ich diesen Weiheakt durch meine Dazwischenkunft profaniere.“
Sie hatte bereits im Begriff gestanden, ihm nach mexikanischer Sitte die Hand zum Willkommen entgegenzustrecken, jetzt aber zog sich dieselbe wieder zurück. Es lag in seinem Wesen, seinen Worten, in seinem Gesicht und auch im Ton seiner Stimme ein Etwas, was sie feindselig berührte.
„O bitte, der ganze Weiheakt bestand nur darin, nachzusehen, ob genügend für Ihre Bequemlichkeit gesorgt sei“, sagte sie.
„Ah, so sind Sie also der Schutzgeist des Hauses! Vielleicht gar –?“
„Der Haziendero ist mein Vater“, sagte sie kurz.
„Ich danke, Madonna! Mein Name ist Verdoja; ich bin Hauptmann der Lanzenreiter und fühle mich in diesem Augenblick unendlich glücklich, Ihr kleines, reizendes Händchen küssen zu dürfen.“
Er hatte dabei ihre Hand ergriffen und drückte, ohne daß sie es so schnell zu verhindern vermochte, seine Lippen auf dieselbe. Sie zog die Hand wie erschreckt zurück.
„Erlauben Sie, daß ich Ihr Gebiet Ihnen überlasse“, sagte sie. „Sie werden der Ruhe und Erfrischung bedürfen.“
Sie machte Miene, sich der Tür zu nähern, er aber trat ihr mit einem schnellen Schritt in den Weg.
„Oh, ich bedarf der Ruhe gar nicht“, sagte er, „und mein eigentliches Gebiet ist die Liebe und die Anbetung der Schönheit. Lassen Sie sich nieder, Madonna. Ich sehe Sie erst seit nur einer Minute, aber ich schmachte danach, hier an Ihrer Seite bleiben zu dürfen.“
Sie geriet in eine sichtliche Verlegenheit. Dieser Mann war jedenfalls gewöhnt, mit den koketten Damen der Hauptstadt zu verkehren, sie aber fühlte sich einem so selbstbewußten Auftreten gegenüber fast waffenlos.
„O bitte, erlauben Sie!“ bat sie. „Ich habe Pflichten zu erfüllen.“
Sein Auge bohrte sich flammend und verlangend in ihr Angesicht. Er antwortete:
„Die vornehmste Pflicht der Wirtin ist, sich dem Gast angenehm zu machen.“
„Und die Pflicht des Gastes ist es, aufmerksam gegen die Wirtin zu sein!“
„Das bin ich, wahrhaftig, das bin ich!“ rief er. „Erlauben Sie mir Ihre Hand, und verlassen Sie mich jetzt noch nicht!“
Er griff nach ihrer Hand, sie aber brachte es fertig, in diesem Augenblick an ihm vorüber zu schlüpfen und die Tür zu erreichen.
„Adieu, Señor!“ sagte sie, dieselbe öffnend.
„Halt!“ rief er. „Ich lasse Sie nicht fort.“
Er griff nach ihr, aber schneller als seine Hand war, huschte sie hinaus und
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