46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
sein.“
„Nun, dann ist es kein Wunder, daß ich noch kein Stück Wild in Eurer Hand gesehen habe. Ein guter Diplomat sieht es Euch auf den ersten Blick an, daß Ihr kein Westmann, sondern ein echtes Murmeltier seid.“
Señor Pirnero besaß, wie so viele andere Leute, die unangenehme Eigenschaft, sich des Morgens nach dem Erwachen in übler Laune zu befinden. Dies hatte Gerard jetzt zu büßen gehabt. Er nahm es gleichgültig hin.
Der Wirt setzte sich auf seinen Stuhl am Fenster und blickte hinaus. Es regnete immer noch, wenn auch nicht so sehr wie gestern; darum sagte er nach einer Weile mißmutig:
„Armseliges Wetter!“
Gerard antwortete nicht. So fuhr jener nach einer kleinen Weile fort:
„Fast noch wie gestern!“
Und als Gerard auch jetzt noch nichts sagte, wendete er sich zu ihm und rief ihm zu:
„Nun?“
„Was denn?“ fragte der Jäger ruhig.
„Armseliges Wetter!“
„Hm, ja!“
„Fast wie gestern.“
„Freilich!“
„Glaube nicht, daß er da kommen wird.“
„Wer?“
„Wer? Welche Frage! Der ‚Schwarze Gerard‘ natürlich. Wen sollte ich sonst meinen!“
„O, dem ist das Wetter gleichgültig; der kommt, wenn er überhaupt will.“
„Meint Ihr, Ihr müßt nämlich wissen, daß er hier erwartet wird.“
„Ja, von Euch.“
„Allerdings; aber auch noch von jemanden.“
„Wer könnte das sein? Eure Tochter etwa?“
„Die? Fällt mir nicht ein! Das ist ja eben mein Leiden. Da könnten tausend Schwiegersöhne gelaufen kommen, sie guckte sicher keinen an; am allerwenigsten aber wartet sie auf einen. Nein, ich meine einen anderen.“
„Wen?“
„Einen Jäger.“
„Ah, einen Jäger, der bei Euch ist?“
„Richtig. Er kam gestern, als Ihr Euch bereits niedergelegt hattet.“
„Und er ist bei Euch geblieben, um den ‚Schwarzen Gerard‘ zu erwarten?“
„Ja.“
„Woher kam er?“
„Aus der Llano estacado.“
„Ah!“
„Nicht wahr, da staunt Ihr. Ja, Ihr wärt wohl nicht der Mann, durch die Llano zu reiten, obgleich Ihr zehnmal größer und stärker seid als er. Und was ist es für ein Kerl. Er hat die ganzen Taschen voll Nuggets.“
„Wirklich? Was ist es für ein Landsmann? Vielleicht ein Yankee?“
„Nein, sondern ein Deutscher.“
„Das sind die besten, zuverlässigsten Leute. Wie heißt er?“
„Andreas Straubenberger.“
„Kenne diesen Namen nicht.“
„Das ist möglich, denn – ah, da kommt er!“
Straubenberger trat ein. Er grüßte, dann ging sein erster Blick hinaus nach dem Wetter, sein zweiter aber galt Gerard. Seine Beobachtung schien ihn zufriedengestellt zu haben, denn er setzte sich neben Gerard und sagte:
„Ihr seid der Señor, welcher seit gestern nachmittag hier geschlafen hat.“
„Ja“, antwortete der Gefragte.
„Das nenne ich einen Kapitalschlaf. Ihr müßt außerordentlich ermüdet gewesen sein.“
„Allerdings.“
„Von der Jagd?“
„Auch mit.“
„Hm! Gedenkt Ihr lange hier zu bleiben?“
„Vielleicht nur einige Stunden.“
„Wohin geht Ihr dann?“
„Hinüber in die Berge.“
„Alle Wetter! Allein?“
„Ja.“
„So nehmt Euch um Gotteswillen in acht. Es sollen sich viele Rote dort befinden.“
„Das geht mich nichts an.“
„Seid nicht leichtsinnig, Señor. Wenn sie Euch beim Schopf haben werden, dann wird es Euch recht wohl etwas angehen. Wollt Ihr aber trotzdem hinüber, so könnt Ihr mir einen Gefallen tun.“
„Welchen?“
„Kennt Ihr den ‚Schwarzen Gerard‘?“
„Man hört sehr viel von ihm.“
„Gut! Sucht zu erfragen, wo er sich befindet, und wenn Ihr ihn zufällig trefft, so sagt ihm, daß einer hier sei, der auf ihn wartet.“
„Und wenn er mich fragt, wer dieser eine sei?“
„So sagt ihm, daß es der ‚Kleine André‘ ist.“
„Donnerwetter, Ihr seid der ‚Kleine André‘?“
„Ja. Eigentlich heiße ich Andreas Straubenberger. Die französischen Jäger haben Andreas in André verwandelt, und weil ich von Gestalt kein Riese bin, so werde ich der ‚Kleine André‘ genannt. Das ist mein Savannenname.“
„Ich kenne ihn, Señor, und weiß, daß Ihr ein tüchtiger Jäger seid. Übrigens können wir, wenn es Euch lieb ist, auch deutsch zusammen reden.“
„Deutsch! Versteht Ihr deutsch, Señor?“
„Ja freilich, obgleich ich eigentlich ein Franzose bin.“
„Wie ist Euer Name, Herr?“
„Mason. Und in Paris hatte ich den Beinamen l'Allemand, der Deutsche, weil ich der deutschen Sprache mächtig bin.“
Der Wirt hatte diesem Gespräch schweigend
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