47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
aufgestellt. Auf diesem Tisch lag ein verzierter
tantō
, den ebenfalls das Asano-Wappen zierte. Es war der traditionelle Dolch, den Samurai benutzten, um sich das Leben zu nehmen. Als Fürst Asano den Tisch erreichte, kniete er sich nieder und legte das Gedicht vor sich auf die Tischplatte. Oishi sank schräg hinter ihm auf ein Knie, sodass er schnell aufstehen konnte, um seine Pflichten zu erfüllen.
Fürst Asano sammelte sich und verbeugte sich vor den Zuschauern, bevor er den Shogun ansah. Er bemerkte, dass Fürst Kira zur Rechten des Shoguns kniete. Als er den kaum verhohlenen Triumph hinter Kiras Gelassenheit bemerkte, verwandelte der bloße Anblick dieses Mannes Asanos Seele in Feuer und Eis.
Kira bemerkte die Veränderung, und eine leise Vorahnung schien ihn zu verunsichern, als Fürst Asano den glänzenden
tantō
aufhob.
Fürst Asano richtete seinen Blick wieder auf den Shogun. Mit einem Tonfall tiefster Überzeugung sprach er die rituellen Worte: »Ich öffne meine Seele für Euch, auf dass Ihr über ihre Reinheit oder Unreinheit richten könnt.« Mit dem letzten Wort stieß er sich das Messer in den Bauch. Über die plötzliche schmerzhafte Überraschung hinweg, die sein Körper durch den Verrat an sich selbst spürte, bemerkte Asano, wie Kira versuchte, seine Augen vom Tod abzuwenden.
Aber Kiras Blicke fanden nur Oishis rachsüchtiges Starren, als er plötzlich mit gezogenem Schwert aufsprang. Der Ausdruck des Burgvogts ließ Kiras zurückprallen wie eine Mauer und zwang ihn, dem wahren Schmerz seines Herrn ins Gesicht zu sehen. Den Beweis seines Mutes zu erkennen, der die Lügen entlarvte, die man über Asano verbreitet hatte. Der sterbende Fürst fixierte Kira mit seinem Blick und konzentrierte sich auf einen Punkt weit hinter dem unerträglichen Schmerz, während er das Messer immer tiefer hineindrückte und es Fleisch und Eingeweide zerschnitt, bis sein Körper im Todeskampf erzitterte. Dann endlich senkte er den Kopf und der leiseste Hauch eines Protests entschlüpfte seinen Lippen.
Hinter ihm verflüchtigten sich Oishis Unsicherheit und sein schmerzhafter Zweifel innerhalb eines Herzschlags. Er ließ sein Schwert zum Gnadenstoß herunterschnellen, der mit einem geschickten Hieb das Leben seines Herrn und seine Leiden beendete. Er war sicher, dass Fürst Asano gestorben war, wie er gelebt hatte: als Beispiel an Integrität und Stärke, das niemand jemals infrage stellen konnte.
Fürst Asano hatte bis zum Ende die Kontrolle über sich behalten. Der Schlag, der seinen Kopf sauber vom Körper trennte, war genauso ausgeführt worden, wie er sollte. Die Blutfontäne ergoss sich so perfekt in das Auffangbecken vor ihm, wie es der Shogun nur verlangen konnte. Auf Oishis Kleidern war kaum ein Tropfen Blut gelandet, aber er wischte absichtlich das Blut mit seinem Ärmel von der Klinge seines
katana
ab – er wusste, dass er diese Sachen nie wieder tragen konnte. Er hatte noch nie zuvor einen Menschen getötet und hatte gerade seinen eigenen Herrn hingerichtet. Er würde diese Kleider verbrennen
oder sie würden ihn auf ewig an diesen Moment erinnern
.
Er sah noch ein letztes Mal zu Kira nach oben, als er sein Schwert in die Scheide schob. Er tat es langsam, mit unerbittlichem Hass und dem Versprechen der Rache in seinen Augen. Er verbeugte sich zum letzten Mal vor dem Shogun und den anderen Herrschaften, bevor er Fürst Asanos Gedicht vom Tisch aufhob und alleine mit langen Schritten die Halle verließ. Wenn jemand die Tränen in seinen Augen schimmern sah, schämte er sich nicht bei dem Gedanken, dass man ihn vielleicht hinter seinem Rücken verspottete, weil er eine menschliche Regung gezeigt hatte.
Mika wartete am Koi-Teich im Garten ihres Vaters. Sie erhob sich, als sie Oishi allein aus der Großen Halle kommen sah. Er trug ein einzelnes Stück Papier. Sie sah, dass er in sich zusammensank, als sich die Türen hinter ihm schlossen. Er lehnte sich an einen Pfeiler auf der Veranda, als er den Kopf neigte, um die letzten Worte ihres Vaters zu lesen. Sie konnte sehen, wie das Papier in seinen Fingern zitterte. Er stand viel länger da, als sie erwartet hatte. Es war, als würde das Blut, das am Ärmel seines Kimonos klebte, das Kleidungsstück so sehr beschweren, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte.
Ihr Vater war tot
.
Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild von dem, was nun gerade in der Mitte der Großen Halle lag: ein kopfloser Körper, ein See aus Blut … die blinden Augen ihres
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