47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Vaters. Sie vergrub ihren Kopf in der Armbeuge und versuchte, das Bild, das sich ihr aufdrängte, zu vertreiben. Als sie ihren Arm endlich wieder senkte, war ihr Ärmel von ihrer Trauer durchnässt.
Sie sah auf und bemerkte, dass Oishi den Burghof in ihre Richtung überquerte. Er hielt den Kopf erhoben, seine Schritte waren zügig und sein Blick geradeaus gerichtet, als er an den Samurai vorbeiging, die noch immer die Festung bewachten. Sie trugen das
mon
des Shoguns, Kiras und aller anderen Fürsten, außer seinem eigenen.
Lass nicht zu, dass Sie dich weinen sehen
. Sie wischte sich heftig das Gesicht mit dem Ärmel ihres Kimonos ab, während Oishi sich auf dem Gartenweg näherte. Er sah weder nach rechts noch links auf die neuen Knospen und duftenden Blüten der Glyzinien und Schwertlilien, der Pfingstrosen und Hortensien, die den mit Steinplatten gepflasterten Weg säumten. Die Wachen hatten die Diener sofort auseinandergetrieben, und sie hatte ihre eigenen Dienstboten mit ihnen fortgeschickt, während sie sich allein davongestohlen hatte, um hier zu sitzen. Am letzten Ort, an dem sie ihren Vater vor den schrecklichen Ereignissen der vergangenen Nacht gesehen hatte.
»Meine Herrin.« Oishi kniete vor ihr nieder und verbeugte sich tief, bevor sie ihm vollends in die Augen sehen konnte. Er hielt ihr ein Stück Papier hin.
Das Todesgedicht ihres Vaters
. »Vergebt mir ...«, sagte er mit zitternder Stimme, als sie das Gedicht aus seiner Hand nahm.
»Ich ...«
»Vergebt mir ...«, murmelte er, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte und sich aufrichtete, um ihr in die Augen zu sehen. Aber er blinzelte noch immer, als würden seine Augen schmerzen. Sie merkte, dass sein Gesicht feucht war. »Euer Vater hat seine Ehre wiederhergestellt«, erklärte er leise. »Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der mehr Mut gezeigt hat. Ako und das Haus Asano können stolz sein ... Nun muss ich gehen und um die Freilassung unserer Männer bitten, sie
verlangen
. Vergebt mir.« Abrupt erhob er sich und wandte sich ab. Sie konnte ihm nicht einmal antworten, bevor er durch die Blumenreihen davonging.
Sie stand da und starrte auf das Stück Papier in ihrer Hand. Zuerst hätte es ebenso gut leer sein können, weil ihr Verstand sich weigerte, die Worte zu erkennen, die dort geschrieben standen. Aber als sie es weiter ansah, nahm die Kalligrafie ihres Vaters – sauber, ohne Schnörkel, aber niemals ungraziös – Form an, und Mika las sein letztes Gedicht:
Mehr als die Kirschblüten
die den Wind einladen, sie wegzuwehen
frage ich mich, was ich tun soll
mit dem Rest der Frühlingszeit
.
Oh Vater
... Sie senkte den Kopf und weitere Tränen, die sie nun nicht mehr zurückhalten wollte, befleckten das Papier. Das waren die Gedanken ihres Vaters, als die letzten Stunden seines Lebens angebrochen waren ... Und trotzdem war seine Frage an die Hinterbliebenen, die künftig ihr Leben ohne ihn fristen mussten, so viel größer: Was sollten sie tun mit dem Rest der Frühlingszeit ...?
»Zeig ihnen, dass sie von den Frauen von Ako viel lernen können«
, hatte ihr Vater ihr gesagt. Aber was war ihr noch geblieben, dass sie jemandem zeigen konnte? Ihr Vater hatte ihr das Gefühl gegeben, sie sei frei, alles zu tun oder zu werden. Aber obwohl sie sich eingeredete hatte, dass es stimmte, hatten beide in ihrem Herzen gewusst, dass es eine Lüge war.
Darum hatte sie ihm nie erzählt, dass sie Kai liebte
.
Als Außenstehender hatte Kai erkannt, was sie beide sich aus den verschiedensten Gründen nicht eingestehen wollten ...
Wenn du glaubst, dass du wirklich frei bist, gibt es kein Entkommen
. Ihre Hände krampften sich zusammen und zerknitterten das Papier, als sie wieder auf die Bank sank. Ihr Körper bebte unter stummen Schluchzern.
Als sie ihre Tränen einmal mehr getrocknet hatte, fragte sie sich, wie sie jemals ihre Seele von so viel Trauer reinigen konnte, wenn sie ihre Tränen nur in verstohlenen Augenblicken vergießen durfte ... Sie glättete das Gedicht ihres Vaters und faltete es ordentlich, bevor sie es in ihren
obi
steckte. Dann stand sie auf und verließ den Garten. Sie ging allein über den Burghof und durch die offenen Tore. Unter den Blicken der Wachen des Shoguns nahm Mika eine ebenso vornehme Haltung an wie Oishi ... Fürst Kiras Spione ... die Augen von zu vielen Fremden folgten ihr, wohin sie auch sah.
Mika schaute geradeaus, erwiderte keinen der Blicke und lehnte es ab, auf eine Frage oder einen gemurmelten
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