47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
lindern, und so begannen die Wunden nach und nach zu heilen, zumal einer der Mixtekas, welche die Besatzung der Hacienda bildeten, ihm das berühmte Wundkraut gesucht hatte, welches jede Wunde zur schnellsten Verharschung bringt.
Er war bereits soweit hergestellt, daß er das Bett versuchsweise verlassen hatte. Er saß, sorglich von Decken umhüllt, in einem Stuhl an einem Fenster, welches nach Norden ging. Da hinaus schaute er, denn nach dieser Richtung lag das Fort Guadeloupe, lag Chihuahua und auch Cohahuila. Neben ihm stand Marie Hermoyes. „Alles will ich gern gelitten haben, wenn ich sie nur wiedersehe“, sagte er, ein begonnenes Gespräch fortsetzend.
„O, Señor, Ihr glaubt nicht, wie unendlich auch ich mich freue!“
„Ja, meine gute Marie, ich glaube es schon. Aber wie sagte Antonio, wie Emma ausgesehen hätte?“
„Gut, sehr gut, sagte er.“
„Gesund?“
„Gesund und munter.“
„Sie hatte gesagt, daß sie bald kommen werde?“
„Sehr bald, Señor.“
„Aber sie kommt ja nicht. Ich warte vergebens!“
„Ihr dürft die Geduld nicht verlieren. Juarez wird sie bringen.“
„Warum kommt sie nicht eher?“ klagte er.
„Wollt Ihr sie zum zweiten Mal verlieren, noch ehe Ihr sie überhaupt wiedergesehen habt?“
„Das wolle Gott verhüten. Aber, wird es nicht da draußen schwarz am Horizont, Marie?“
Sie trat näher an das Fenster, blickte hinaus und strengte ihre alten Augen so viel wie möglich an.
„Ja, Señor“, sagte sie dann, „es sieht gerade so aus, als ob recht viele Reiter dort auftauchten.“
„Santa Maria. Wenn Juarez endlich käme!“
Die beiden Leute blickten mit größter Spannung hinaus.
„Ja, es sind Reiter“, sagte Marie.
„Es sind sehr viele“, fügte der Haziendero hinzu. „Sie kommen näher. Gott, vielleicht ist mein Kind bei ihnen!“
Er wurde ganz schwach vor freudiger Erregung. Er legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Aber sein Ohr blieb offen. Es hörte ein nahendes Brausen und dann den Hufschlag vieler Pferde, welcher wie ein dumpfer Donner heranrollte.
Es war ein ganzes Heer, welches herangaloppiert kam. Weiße und Apachen. Die Mixtekas hatten sich auf ihre Pferde geworfen, um sie zu empfangen. Man hörte ein jubelndes Heulen und Brüllen, unterbrochen von durchdringendem Gewieher der mutigen Pferde, dann kam ein schneller Männerschritt von der Treppe her auf die Tür zu, welche geöffnet wurde. Arbellez richtete die Augen auf den Eintretenden.
„Juarez“, sagte er, ganz schwach werdend.
„Der Präsident“, rief auch Marie Hermoyes.
„Ja, ich bin es“, sagte der Zapoteke. „Gott grüße Euch, Señor Arbellez. Wie ist es Euch ergangen?“
„Schlimm, sehr schlimm, Señor“, antwortete Marie. „Josefa Cortejo hat ihn bis auf die Knochen peitschen lassen und dann in den Keller geworfen. Unser guter Herr hat Fürchterliches ausgestanden.“
Juarez zog die Brauen zusammen, er wollte fragen, wurde jedoch daran verhindert, denn von der Tür her erscholl ein jauchzender Schrei.
„Vater!“
Er hatte diese Stimme so lange Jahre nicht gehört, der alte, kranke Haziendero, aber er erkannte sie doch sogleich.
„Emma, mein Kind.“
Er wollte diese Worte sprechen, aber sie erstarben ihm auf der Zunge. Er hielt die Augen noch geschlossen, aber er öffnete die Arme. Im nächsten Augenblick hielten sich die beiden wortlos umschlungen; desto reichlicher aber flossen die Tränen auch bei denen, die dabei standen, über die Wangen herab.
Da nahm Juarez die Alte bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer.
„Lassen wir sie allein“, sagte er draußen zu ihr. „Dieser selige Augenblick ist ihr heiliges Eigentum, welches wir ihnen nicht stehlen dürfen. Aber sagt mir doch, Señora, wo ist Señor Sternau?“
„Der ist fort“, antwortete sie.
„Und ‚Büffelstirn‘, ‚Bärenherz‘ und die anderen?“
„Sie sind auch fort.“
„Wohin?“
„Man weiß es nicht.“
„Sie müssen es aber ja gesagt haben, wenn sie die Hacienda auf einige Zeit verlassen haben.“
„Nein. Sie konnten es nicht sagen; denn sie wußten es selbst noch nicht. Sie sind der Josefa Cortejo nachgejagt.“
„Ist sie entkommen?“
„Ja. Doch hoffen wir, daß sie noch ergriffen wird.“
Sie erzählte in fliegender Eile so viel sie wußte. Da kam auch Karja, die Indianerin. Sie ging mit Marie Hermoyes hinein zu Vater und Tochter, um den ersteren zu begrüßen, während Juarez sich seinen Pflichten widmen mußte.
Auch Lindsay und Amy waren mitgekommen.
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