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53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten

Titel: 53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Söhnchen?“
    „Ja, mein Väterchen.“
    Es muß hier erwähnt werden, daß alle Völker, die sich der russischen Sprache bedienen, gern die höfliche, freundliche Koseform gebrauchen, also Väterchen, Mütterchen, Brüderchen, Schwesterchen. Zuweilen wird diese Ausdrucksweise zu oft angewandt, wobei manchmal sehr spaßhafte Ausdrücke zum Vorschein kommen.
    „Kennst du mich?“ fragte der Dicke weiter.
    „Nein, doch werde ich wohl die Freude haben, zu erfahren, wer du bist.“
    Das Gesicht des Dicken glänzte noch freundlicher, als er bereitwillig antwortete.
    „Ja, mein liebes Söhnchen, diese große Freude werde ich dir gern machen. Ich bin nämlich Bula, der Tejsch der Tungusen. Kennst du mich nun, mein Herzchen?“
    Tejsch heißt soviel wie Fürst.
    „Ja, Väterchen, jetzt kenne ich dich.“
    „Und nun, mein Liebling, will ich dir auch mein Frauchen zeigen, die Fürstin. Sie heißt Kalyna. Findest du nicht, daß dieser Name sehr richtig ist?“
    Kalyna heißt die ‚Dicke‘. Darum antwortete der Kosak:
    „Oh, er ist sehr richtig, mein liebes Väterchen. Darf ich dem Mütterchen die Hand küssen?“
    Da erglänzte das Gesicht der Fürstin vor heller Wonne. Sie wälzte sich näher, streckte dem Kosaken die Finger entgegen, die so fett waren, daß sie dieselben gar nicht mehr zusammenbringen konnte, und flötete mit ihrem lieblichsten Ton:
    „Ja, hier, mein Söhnchen, hast du meine Hand. Drücke immerhin ein Küßchen darauf.“
    Der Kosak hatte beide Hände der Dicken geküßt und dabei gar nicht getan, als ob er auch die dritte Person gesehen habe. Jetzt fragte ihn der Anführer der Tungusen:
    „Weiß du vielleicht, ob das gute Kreisamtmännchen zu Hause ist?“
    „Ja, Väterchen. Er ist drinnen in seinem Zimmer.“
    „So werden wir einmal hineingehen. Wir sind nämlich gekommen, ihm ein Visitchen zu machen.“
    „Ich muß dich bitten, noch einen Augenblick zu warten, gutes Väterchen.“
    „Warum?“
    „Weil jemand bei ihm ist.“
    „Wer?“
    „Ein fremder Kaufmann, der seinen Paß vorzeigen will.“
    „Nun gut, so warten wir. Doch hoffe ich, daß sich der Kreishauptmann nicht allzu lange mit dem Päßchen des Kaufmännchens beschäftigen wird. Ich bin zum Jahrmarkt gekommen und habe viel einzukaufen.“
    „Der Isprawnik wird sich beeilen. Soll ich dich vielleicht anmelden?“
    „O nein. Stören will ich ihn nicht. Gar so eilig habe ich es nicht. Und damit uns die Zeit nicht so lang wird, werde ich dir einmal hier mein Töchterchen zeigen, mein Herzchen, mein Juwelchen, mein weißes Lämmchen. Siehe sie dir einmal an! Sie heißt Karpala. Ist das recht?“
    Die Tungusen haben von allen Turk-Völkern die Sprache am reinsten erhalten. Kar heißt der Schnee, und palamak heißt leuchten, glänzen. Der Name Karpala also bedeutet: wie Schnee leuchtend.
    Jetzt war der Kosak gezwungen, seine Augen voll auf sie zu richten. Seine kräftige, wohlgegliederte Gestalt schien sich in die Höhe zu richten, sein Auge glänzte, und seine Wangen röteten sich. Er antwortete:
    „Ja, dieser Name ist bezeichnend wie kein anderer. Du hast ihn sehr gut gewählt, Väterchen.“
    Der Fürst war über dieses Lob so sehr erfreut, daß er auf seine Tochter deutend, sagte:
    „Hast du nicht Lust, auch ihr die Händchen zu küssen?“
    „Du bist voller Güte, mein Väterchen; aber was du mir da erlaubst, das darf ich doch nicht wagen.“
    „Warum nicht?“
    „Das kann ich dir nicht erklären. Ich würde die Worte nicht finden, die nötig wären, dir zu sagen, warum ich es nicht darf.“
    Da trat Karpala schnell auf den Kosaken zu, reichte ihm die Rechte und sagte mit einer Stimme, deren reiner, kräftiger Klang ihm in die tiefste Seele drang:
    „Du darfst es. Aber nicht küssen sollst du meine Hand. Das würde wie eine Unterwürfigkeit erscheinen. Sondern reichen wollen wir uns die Hände wie Bekannte, die einander nicht vergessen haben.“
    Sie ergriff seine Hand und drückte sie herzlich. Vater und Mutter blickten erstaunt auf die Tochter. Dann sagte der erstere:
    „Wie Bekannte? Habt ihr euch denn schon einmal gesehen?“
    „Ja, ja“, antwortete sie, bedeutungsvoll mit dem Kopf nickend. „Höre es, Väterchen, und höre es, Mütterchen! Er ist mein Retter!“
    Da stemmten beide ihre Hände in die Seiten und riefen zu gleicher Zeit:
    „Dein Retter?“
    „Ja.“
    Nun schlugen sie zu gleicher Zeit die Hände vor Verwunderung zusammen, daß beide Peitschen auf den Boden fielen.
    „Der dich aus dem Eis gezogen

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