595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
interessiert sind?«, frage ich. »Auf meiner Webseite war der Termin eindeutig angegeben.«
»Eine Lesung muss vernünftig vorbereitet werden.«
»Und deswegen wollen Sie nun Ihren Schülern das Vergnügen einer Autorenbegegnung vorenthalten, weil Sie das in drei Tagen nicht organisiert bekommen?«
»Für welche Klassenstufe lesen Sie denn?«
Mir wird bewusst, nicht zu wissen, welche Klasse Noah besucht. Er ist auf keinen Fall ein Erstklässler und für die vierte Klasse scheint er mir zu jung zu sein. »Für Ihren gesamten zweiten und dritten Jahrgang«, sage ich daher. »Aufgeteilt in zwei Gruppen.«
»Folglich haben wir zwei Lesungen gewonnen?«, vergewissert sich die Direktorin.
»Ja. Ich schlage vor, mit den Kleineren beginnen wir am Freitag gegen zehn Uhr, die Größeren sind dann eine Schulstunde später an der Reihe.«
»Die dritte Stunde beginnt bei uns um fünf vor zehn«, informiert mich Frau Spieß.
»Dann sehen wir uns am Freitag. Ich tauche spätestens um Viertel vor zehn bei Ihnen auf. Noch einmal meinen Glückwunsch. Insgesamt hatten sich achtundvierzig Schulen beworben. Dank Ihres Losglücks sparen Sie fünfhundert Euro Autorenhonorar.«
»Schicken Sie mir eine Bestätigungsmail?«
Offensichtlich will sie sichergehen, nach den Lesungen keine Rechnung zu erhalten.
»Kein Problem, ich kenne ja Ihre E-Mail-Adresse. Wir sehen uns am Freitag. Bis dahin!«
Beim Auflegen klingelt es an meiner Wohnungstür.
Überraschender Besuch
Verwundert schaue ich auf meine Armbanduhr. Ich erwarte niemanden und der Paketbote hat es sich schon seit Längerem abgewöhnt, bei mir zu klingeln, um Sendungen für Nachbarn abzugeben. Genau genommen seit jenem Tag, an dem er für die angeblich nicht anwesende Familie im Dachgeschoss ein schweres Paket in meiner Wohnung hinterlegen wollte. Ich hatte nicht erfreut reagiert, als die vermeintlich abwesende Ehefrau die Treppe herunterkam, während ich gerade die Annahme quittierte. Wenigstens hatte ich nach meiner damaligen Verbalattacke Ruhe vor ihm gehabt.
Unser Haus verfügt nicht über Gegensprechanlagen. Also drücke ich auf und warte im Türrahmen stehend, wer sich zu mir verirrt hat. Ein Gespräch mit einem Zeugen Jehovas stelle ich mir aufgrund meines Wissensvorsprungs spaßig vor.
Als die Person den Treppenabsatz zur ersten Etage erreicht hat, löst ihr Anblick Herzflimmern bei mir aus. Sie lächelt mich an, gleichzeitig bemerke ich die beiden Koffer, die sie nach oben schleppt.
»Überraschung«, ruft Arabella.
Ich hingegen leide unter Wortfindungsstörungen. Zudem bin ich viel zu perplex, um ihr entgegenzugehen und ihr das Gepäck abzunehmen.
Sie sieht fantastisch aus, obwohl sie heute völlig normal gekleidet ist. Sie trägt dunkelblaue, flache Schuhe sowie eine Bluejeans kombiniert mit einer cremefarbenen Bluse.
Zur Begrüßung beugt sie sich zu mir und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
»Hi«, finde ich meine Sprache rudimentär wieder.
In dieser Sekunde öffnet sich über mir eine Wohnungstür.
»Darf ich reinkommen?«, erkundigt sich Arabella.
Jemand läuft die Stufen herunter. Katharina Wagner bemerkt meinen Gast und wirkt erstaunt. Wahrscheinlich hat es für sie den Anschein, als ob die Hausgemeinschaft um einen Bewohner wachsen würde. Ich nicke meiner Nachbarin zu, Arabella schenkt ihr ein Lächeln. Noahs Mutter presst sich ein »Hallo« heraus, ehe sie aus meinem Blickfeld verschwindet.
»Klar«, antworte ich mit erneuter Zeitverzögerung. »Meine Wohnung steht dir offen.« Nun erinnere ich mich auch an meine guten Manieren und nehme ihr die Koffer ab.
»Entschuldige meinen Überfall«, sagt sie beim Eintreten. »Aber ich kann’s dir erklären.«
Wenn sie mir mitteilt, dass ich bei einer Verlosung der Terminfrauen gewonnen habe, werde ich dem Himmel für den mickrigen Rest meines Lebens bei jedem Aufenthalt im Freien den Mittelfinger entgegenstrecken.
Wir genehmigen uns in der Küche Kaffee. Halt suchend umklammert Arabella ihre Tasse mit beiden Händen.
Dabei schwirren doch in meinem Kopf lästige Fliegen, die für ein Schwindelgefühl sorgen. Sie kommt mir verletzlich vor, weniger selbstbewusst als vergangenes Wochenende.
»Ich mache den Job seit einigen Jahren«, erklärt sie mir. »Ich verdiene einen Haufen Geld und mit den meisten Männern ist es akzeptabel. Keiner dieser Typen hat mich allerdings je so behandelt wie du. Du hast mich wie eine Gefährtin umsorgt, es war unglaublich schön mit dir.«
Imaginäre Punktrichter
Weitere Kostenlose Bücher