595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
angenehm erwärmt und ein paar Vögel balzen miteinander, indem sie sich Lieder zuzwitschern.
Das Leben ist –
Herrlich, denke ich beinahe. Leider wird mir genau in diesem Moment bewusst, wie wenige Tage mir noch bleiben. Trost finde ich nur in dem Umstand, dass ich Arabella ohne meinen Herzinfarkt niemals kennengelernt hätte.
Bei der Bäckerei ist meine trübselige Stimmung fast verschwunden. Während ich mich in eine kleine Schlange einreihe, mustere ich die verschiedenen Brötchenvarianten. Ich versuche mich zu erinnern, was mein Gast am Wochenende gegessen hat. Einer spontanen Laune gehorchend greife ich zur Tageszeitung, kaufe vier Mehrkornbrötchen, zwei Schokoladencroissants und bestelle zwei Latte macchiato zum Mitnehmen.
Als ich mich bei meiner Rückkehr der Haustür nähere, öffnet sich diese. Katharina tritt heraus. Sie wirkt gehetzt und müde. Außerdem ist sie nachlässig frisiert.
»Guten Morgen«, begrüße ich sie freundlich.
Zunächst glaube ich, dass sie mich ignorieren wird, dann erinnert sie sich jedoch an ihre gute Kinderstube und hält mir sogar die Tür auf.
»Morgen«, brummt sie.
»Sie sehen übermüdet aus«, stelle ich fest.
»Nicht für jeden von uns ist das Leben ein Ponyhof«, antwortet sie mürrisch.
»Kaffee?«, biete ich ihr einen meiner Becher an.
Sie runzelt die Stirn. An dem Funkeln ihrer Pupillen erkenne ich das Umschalten in den Angriffsmodus.
»Ich bin nicht der Leibhaftige«, erkläre ich rasch, um einen fiesen Spruch zu unterbinden. »Ich führe mich manchmal nur so auf.«
Nun lächelt sie. Das erste Mal, dass sie meinetwegen die Mundwinkel nach oben zieht. Dabei blickt sie auf das Gefäß.
»Kaffee wäre toll«, murmelt sie. »Mir ist vorhin die letzte Kondensmilch hingefallen und ausgelaufen. Ohne schmeckt er mir nicht.«
»Das ist ein Latte macchiato.« Ich strecke ihn ihr ein Stück weit entgegen, sie zögert kurz, ehe sie der Duft verleitet, zuzugreifen.
»Danke!«
»Nicht der Rede wert.«
Nachdem ich nun erstmalig Sympathiepunkte bei ihr sammeln konnte, lächle ich ihr lediglich zu und betrete den Hausflur.
»Schönen Tag«, wünsche ich ihr.
»Ebenso.« Den zwei Silben kann man ihre durch mein Verhalten hervorgerufene Überraschung entnehmen.
In meiner Wohnung ziehe ich die Schuhe aus, bevor ich die Brötchentüte auf den Esstisch lege. Mit dem verbliebenen Becher in der Hand schleiche ich mich ins Schlafzimmer. Ich hocke mich auf Arabellas Seite hin und halte ihr die Kaffeespezialität unter die Nase. Nach einer Weile bewegen sich ihre Nasenflügel, fast gleichzeitig schlägt sie die Augen auf.
»Ich habe uns Brötchen geholt und dir deine liebste Kaffeevariante.«
»Du bist ein Engel.«
»Ich warte in der Küche auf dich.«
Zehn Minuten später betritt Arabella den Raum. Sie trägt ein hellgrünes T-Shirt kombiniert mit schwarzen Hotpants. Ob es wohl eine Kleidungszusammenstellung gibt, in der sie mir nicht den Atem raubt?
Beim Frühstücken erzählt sie mir detailliert von ihrem Traum, dann will sie wissen, was ich heute vorhabe.
»Wir müssen einkaufen, der Inhalt meines Kühlschranks ist nicht auf zwei Personen ausgerichtet. Ansonsten keine Pläne.«
»Musst du nicht schreiben?«, wundert sie sich. »Geld verdienen?«
»Freitag lese ich in einer Schule hier ganz in der Nähe. Mit einem neuen Roman beginne ich frühestens in einem Monat. Derzeit gönne ich mir eine Auszeit.«
»Was für ein traumhaftes Leben.«
Hoffentlich macht sie mein gequältes Lächeln nicht stutzig.
Kurz darauf geht sie ins Bad, um sich für den Einkauf zurechtzumachen. Ich informiere mich unterdessen über das aktuelle Weltgeschehen. Einen Vorteil bietet mir die ablaufende Lebensuhr: Berichte von Wirtschaftskrisen oder Konflikten in der Welt beeinträchtigen meine Gelassenheit in keinster Weise.
Mit dem Gleichmut ist es jedoch vorbei, als ich den regionalen Kulturbereich aufschlage. In der Hoffnung, seine Kritik nicht als persönlichen Angriff verstehen zu müssen, suche ich nach Artikeln von
kw
. Vielleicht verreißt er ja gerne mit drastischen Worten. Allerdings stelle ich rasch fest, dass seine Rezension kein einzelner Terrorangriff, sondern eine komplette Kriegserklärung an mich war. Er nutzt eine wöchentlich erscheinende Kolumne, um in aller Öffentlichkeit mit mir abzurechnen.
Mein Mittwochssenf: Meinungsfreiheit – auch wenn sie wehtut
Als Kulturredakteur hat man es mit einem speziellen, meist sehr faszinierenden Menschenschlag zu tun: den
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