60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
öffnest und im Vorzimmer ließest, um dich danach zu richten! Hast du alles verstanden?“
Das Gesicht, welches der Diener machte, berechtigte allerdings zu dieser Frage.
„Verstanden wohl, aber nicht begriffen“, antwortete er.
„Nun, die betreffende Dame wird, wie ich vermute, sich während meiner Abwesenheit in mein Toilettenzimmer begeben, um sich mit dem Schrank zu beschäftigen. In welcher Weise sie dies tun wird, das weiß ich jetzt noch nicht, werde es aber dann sofort durch dich brieflich erfahren. Laß sogleich anspannen. Anton fährt mit.“
Während der Diener diesen Befehl vollführte, brachte der Fürst das falsche Geschmeide in Verwahrung und machte dann Toilette. Als er dann unten in den Wagen stieg, befahl er:
„Zum Baron von Helfenstein!“
Dabei warf er einen bezeichnenden Blick auf Anton. Dieser verneigte sich verständnisinnig und sprang hinten auf. Die Equipage setzte sich in Bewegung. Am Palast des Barons angekommen, begab sich der Fürst zur Baronin; der Diener blieb nicht beim Wagen, sondern trat auch ein, um womöglich ein Wort mit der Zofe sprechen zu können.
Ella von Helfenstein war sehr erfreut, als sie den Fürsten bei sich eintreten sah. Auf seine Entschuldigung, daß er bereits wieder bei ihr vorspreche, erwiderte sie:
„Sie sind stets hoch willkommen, Durchlaucht. Wie gut aber, daß Sie nicht eine Viertelstunde später kommen.“
„Sie wollten ausfahren? Ah, ich bedaure! Ich werde Sie also um meine sofortige Verabschiedung bitten müssen.“
„O nein, nein! Ich wollte nur auf einige Augenblicke zu Oberst von Hellenbach, um mich nach Fannys Befinden zu erkundigen.“
„Auch ich will nachher zum Oberst, und zwar zu dem gleichen Zweck. Die junge Dame ist aller Teilnahme wert. Sie hat sich wirklich heldenmütig bewiesen. Sie befand sich in Lebensgefahr.“
„Meinen Sie wirklich?“
„Gewiß! Dieser Bormann soll ja ein Mensch sein, dem selbst das Schlimmste zuzutrauen ist.“
„Das habe ich bisher auch gedacht. Aber wird sich ein solcher Mensch denn wirklich mit einem maladen Subjekt verbinden, wie derjenige ist, den man mit ihm gefangen hat?“
„Sie meinen den Schreiber? Ich las von ihm. Beinahe aber möchte ich sagen, daß ich an der Schuld dieses jungen Mannes zweifle.“
„Ah! Warum?“
„Wie soll er zu dem Riesen gekommen sein?“
„Diese Frage wird die Untersuchung beantworten. Aber, Durchlaucht, sind Sie gekommen, damit wir uns mit einem so außerordentlich widerwärtigen Thema beschäftigen?“
„Allerdings nicht. Ich beabsichtigte, dem Oberst meinen Besuch zu machen und im Vorüberfahren Ihnen meine Ergebenheit zu beweisen.“
„Nur im Vorüberfahren?“ fragte sie schmollend.
„Wünschen Sie, daß ich eine längere Pause mache?“
„Gewiß. Oder wäre Ihnen unsere letzte Unterredung wieder entfallen? Das wäre ja beinahe beleidigend für mich.“
„Ich bin ganz glücklich, daß ich mich eines ausgezeichneten Gedächtnisses erfreue, wenn sich dasselbe auch leider oft mit Dingen zu beschäftigen hat, welche viel, viel weniger interessant sind als der Gegenstand unserer Unterhaltung.“
„Darf ich vielleicht erfahren, welche Dinge dies sind?“
„Ich beschäftige mich sehr viel mit Wissenschaften.“
„Darum sind Sie so ernst. Hätte ich das Recht, Ihnen zu befehlen, so würde ich Ihnen diese Beschäftigung verbieten.“
„Sie würden mir etwas entziehen, was imstande ist, dem Menschen die reinsten Freuden und Genüsse zu gewähren.“
„Genüsse? Sollten diese alten, trockenen Bücher wirklich glücklich machen können? Ich meine, man sollte sein Glück ganz anderwärts suchen. Die Wissenschaft macht menschenscheu; sie drängt zur Einsamkeit. Darum schließen auch Sie sich ab, während Sie doch berufen sind, der Öffentlichkeit anzuhören. Sie sind reich, sogar unermeßlich reich, wie man sagt. Sie besitzen eine Einrichtung, wie es keine zweite in der Residenz gibt. Warum öffnen Sie Ihr Haus nicht den Kreisen, welche sich nach der Erlaubnis sehnen, bei Ihnen Zutritt zu erlangen?“
Er bemerkte gar wohl, welches Ziel sie mit ihrer Frage zu erreichen strebte, darum antwortete er:
„Sollte es wirklich jemand geben, den es so sehr verlangt, meine Räume zu betreten?“
„Gewiß, gewiß!“
„Darf ich vielleicht um Namen bitten?“
„Ich könnte sehr viele nennen, aber ich will mich mit einem begnügen, zumal ich annehme, daß dieser eine hinreichend sein wird, Sie zu überzeugen, wie grausam Sie handeln, indem Sie sich
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