600 Stunden aus Edwards Leben
Ich sinke zu Boden.
Ich bin nicht überrascht, als mein Vater durch die automatischen Türen in den Vorraum der Notaufnahme kommt. Der Sicherheitsmann hat die Polizei gerufen und die Polizei meinen Vater. So was ist früher auch schon passiert, aber noch nie hier in der
Billings Clinic
.
Mein Vater trägt ein hellbraunes Golfshirt unter einer Wind-jacke. In Anbetracht des für die Jahreszeit außergewöhnlich warmen Wetters – ich habe meine Daten noch nicht vervollständigt, aber ich vermute, dass es heute um die achtzehn Grad werden wird, auch wenn ich nicht gern Vermutungen anstelle – kann man davon ausgehen, dass ich das Golfspiel meines Vaters unterbrochen habe. Er sieht mich an und schüttelt fast unmerklich den Kopf. Dann gehter zur Anmeldung und spricht mit dem Sicherheitsmann, aber leise. Ich sitze auf einem Stuhl an der Wand, meine Hände sind hinter der Rückenlehne mit Handschellen gefesselt. Ich höre, dass mein Vater seinen Namen nennt, und sehe, wie der Wachmann nickt, aber ich habe Schwierigkeiten, mehr zu hören.
Nachdem er ein paar Minuten mit meinem Vater diskutiert hat, nickt der Sicherheitsmann, und nun kommen beide zu mir herüber. Der Mann greift hinter den Stuhl, schließt die Handschellen auf, steckt sie zurück in seinen Gürtel und geht wieder zur Theke.
Mein Vater setzt sich neben mich.
»Was ist passiert, Edward?«
»Ich hatte einen schlimmen Traum. Ich habe Angst gehabt.«
»Ein Traum mit dem Sohn dieser Frau?«
»Ja.«
»Edward, in welchem Verhältnis stehst du zu diesem Jungen?«
»Verhältnis?«
»Ja. Warum interessierst du dich so für den Sohn dieser Frau?«
»Ich interessiere mich nicht für ihn, Vater.«
»Wenn man die Umstände bedenkt, unter denen du hier bist, ist das schwer zu glauben, Edward.«
»Er hat mir geholfen, die Garage zu streichen. Er ist eines Tages zu mir gekommen. Das ist alles.«
»Das ist alles?«
»Ja. Er hat mir beim Streichen geholfen. Seine Mutter weiß davon. Sie hat sich nicht beschwert.«
»Das tut sie aber jetzt.«
»Ja.«
Mein Vater seufzt. Er lehnt sich vor und reibt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Verstehst du, wie das nach außen wirkt? Du bist im Schlafanzug, hast keine Schuhe an, stehst in der Notaufnahme und redest davon, dass der Sohn dieser Frau in Gefahr ist. Begreifst du, dass das als inakzeptabel angesehen werden könnte?«
»Ja. Ich hatte Angst.«
»Okay, Edward. Aber jetzt hast du jemand anderem Angst gemacht.«
Nachdem er mit mir gesprochen hat, spricht mein Vater mit Donna Middleton, die extra dazu rausgekommen ist. Sie stehen ein paar Meter von mir entfernt und reden, und es ist, als wäre ich nicht dabei.
»Mr Stanton, ich habe noch niemals solche Angst gehabt.«
»Ich weiß.«
»Ich habe Kyle angerufen. Es geht ihm gut.«
»Das ist schön. Edward sagt, er habe einen Albtraum gehabt. Ich bin sicher, Ihr Sohn ist niemals in Gefahr gewesen.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Sicher.«
»Was stimmt nicht mit ihm?«
Mein Vater lächelt, wie um sie zu beruhigen. »Edward hat eine schwere Zwangsneurose. Schon lange. Was er heute getan hat, ist noch nie vorgekommen, das gebe ich zu, aber im Allgemeinen tut er alles, um seinen Zustand zu kontrollieren. Er nimmt Medikamente und geht zur Therapie.«
Das offenbart, was mein Vater weiß. Die ganze Wahrheit lautet, dass ich obsessiv-kompulsiv bin und unter dem Asperger-Syndrom leide. Manche Leute nennen es auch »hochfunktionalen Autismus«. Dr. Buckley sagt, ich kann nichts dafür.
»Ist er gefährlich?«
»Nein. Zumindest war er das bisher nicht. Edwards Zwänge betreffen normalerweise … Dinge – Fernsehserien, die er sich ansieht, Projekte, die er verfolgt … die seinen Geist stimulieren.«
»Ich verstehe. Aber Sie sagen, so was wie eben hat er noch nie gemacht.«
»Nein.«
»Können Sie mir versprechen, dass es nie wieder passiert?«
»Es tut mir leid. Ich glaube nicht, dass es wieder passiert, aber versprechen kann ich es nicht.«
»Okay. Würden Sie ihm dann bitte sagen, er soll uns in Ruhe lassen? Wird er das tun?«
»Ich werde mich darum kümmern.«
»Danke.«
»Ich bin froh, dass es Ihrem Sohn gut geht.«
»Danke.«
Donna Middleton verschwindet.
Mein Vater erklärt mir die Situation, die ich bereits kenne. Ich soll mich von Donna Middleton und Kyle fernhalten. Ich habe ihnen Angst eingejagt und soll sie nie wieder belästigen.
»Fahr nach Hause, Edward«, sagt mein Vater.
Zurück im Haus gibt es viel zu
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