600 Stunden aus Edwards Leben
unten und zurück ins Gefängnis gebracht werden wird. Im Saal selbst sehen sich alle mit aufgerissenen Augen und offenen Mündern um, und Donna Middleton kauert wimmernd in einer Ecke.
Im Erdgeschoss setze ich mich auf eine Holzbank und warte, dass Donna aus dem Waschraum kommt. Sie ist schon sehr lange da drin. Eine Weile sah es so aus, als wollte sie gar nicht wieder aus der Ecke herauskommen, in die sie sich im Gerichtssaal gedrückt hatte. Schließlich lockten die Wachtmeister sie wieder auf die Beine und brachten sie nach unten, wo ich nun warte.
»Hallo, Edward.«
Verwundert hebe ich den Kopf und sehe Lloyd Graeve, einen meiner ehemaligen Kollegen im Archiv. Obwohl es einige Jahre her ist, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, scheint Lloyd sich gar nicht verändert zu haben: Er hat immer noch schwarzes strubbeliges Haar und eine Nickelbrille und lächelt freundlich. Er arbeitet schon viele Jahre im Archiv und hat immer exzellente Arbeit geleistet.
»Hallo, Lloyd.«
»Ich habe dich oben bei Richter Robeson gesehen. Das war ja eine schlimme Szene, was?« Lloyd muss auf dem reservierten Platz für Gerichtsschreiber gesessen haben; ich hatte ihn nicht bemerkt.
»Ja, schlimm«, stimme ich zu.
»Was machst du hier? Ich habe dich nicht gesehen, seit … na ja … du weißt schon.«
»Dieser Typ, der das Chaos verursacht hat, hat meine Nachbarin angegriffen.«
»Bist du mit ihr hier?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich habe es gesehen. Ich habe die Polizei gerufen. Sie hat mich gebeten mitzukommen.«
»Alle Achtung!«
»Ja.«
»Wenn es zum Prozess kommt, wirst du wahrscheinlich als Zeuge aussagen müssen.«
Daran hatte ich bis jetzt nicht gedacht. Aber ich weiß, dass ein Staatsanwalt auf keinen Fall auf die Aussage eines Augenzeugen verzichten wird.
»Ja.«
»Dann sehen wir uns vielleicht wieder.«
»Vielleicht.«
Lloyd schweigt einen Moment, dann sagt er: »Wir vermissen dich hier, Edward.«
»Ja, wirklich?«
»Du hast immer gut gearbeitet. Das könnten wir jetzt gut gebrauchen.«
»Ich könnte hier nicht mehr arbeiten.«
Lloyd lacht. »Ja, ich weiß, was du meinst. Eine gewisse Vorgesetzte ist nicht besser geworden, seit du weg bist. Aber in ein paar Tagen wird neu gewählt. Es gibt also noch Hoffnung.«
»Tja, dann viel Glück.«
»Alles Gute, Edward.«
Als Donna aus der Damentoilette kommt, kann ich erkennen, dass sie tapfer um Fassung ringt. Sie hat sich die Haare gebürstet und sieht nicht mehr so zerzaust aus. Aber das immer noch leicht verschmierte Make-up und ihre zitternde Unterlippe verraten, was sie durchgemacht hat.
»Alles in Ordnung?«, erkundige ich mich.
»Könnten Sie wohl einfach meinen Arm nehmen und mich hier rausbringen?«, bittet Donna und hält mir schlaff ihren rechten Unterarm entgegen, den ich behutsam mit der linken Hand umfasse. Dann führe ich sie zur Tür, durch die wir auf die North 27th Street gelangen.
Ein paar Minuten später, während wir im Fahrstuhl zu dem Parkdeck fahren, auf dem mein Auto steht, sagt Donna so leise, dass ich es kaum verstehen kann: »Das wird schlimmer, als ich dachte.«
Von der Parkgarage aus kann ich sehen, dass es regnet. Davon stand nichts in der Vorhersage. Wie es aussieht, werde ich nie wissen, was kommt. Das ist schrecklich, wenn man Tatsachen bevorzugt.
Um 11:53 Uhr kehren wir zu meinem Haus zurück. Es war eine schweigsame Fahrt. Donna starrte stumm geradeaus, und ich tat dasselbe. Meine Aufgabe war einfach: auf den Weg achten und das Auto nach Hause fahren. Ihre war schwieriger. Ich weiß nicht, ob sie weiß, wo ihr Weg liegt oder wohin er führt.
»Edward«, sagt sie, als ich die Handbremse anziehe, »wäre es in Ordnung, wenn ich bei Ihnen bliebe, bis Kyle nach Hause kommt?«
»Ja. Ich könnte uns Mittagessen kochen.«
»Ich glaube nicht, dass ich etwas essen kann. Ich will nur nicht allein sein.«
»Okay.«
»Edward, wenn ich auch nur geahnt hätte, was passieren würde, hätte ich Sie nicht gebeten mitzukommen.«
»Ist schon in Ordnung.«
»Aber ich bin sehr froh, dass Sie dabei waren.«
Sie weint wieder, aber nur ein bisschen. Donna Middleton ist stark. Stärker als Mike Simpson, so viel ist sicher.
Im Haus drängt mich Donna, doch ruhig Mittagessen für mich zu kochen, was ich tue. Heute ist Spaghettitag.
Als ich die Fleischsoße umrühre und darauf warte, dass die Nudeln weich kochen, verlässt Donna die Couch und kommt in die Küche.
»Was meinten Sie damit, als Sie sagten:
falls
es in Mikes Fall zum
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