600 Stunden aus Edwards Leben
Prozess kommt?«
In meiner Zeit als Archivar habe ich es immer wieder erlebt. Selbst bei Verbrechen wie dem, das Mike begangen hat, treffen sich Staatsanwalt und Verteidiger, um eine Absprache auszuhandeln. Manchmal geschieht es, weil der Staatsanwalt einen so sicheren Fall hat, dass er auch ohne Prozess das bekommt, was er will. Manchmal ist es andersherum, und die Verteidigung nutzt ihren Vorteil, um den Staatsanwalt zu einer Absprache zu zwingen.
»Das Ziel von Staatsanwälten und Verteidigern ist es oft, keinen Prozess zu führen.«
»Warum?«
»Ein Gerichtsprozess bietet keine Sicherheit, für keine Seite. Anwälte wollen Sicherheit. Angesichts der Fakten in diesem Fall würde es mich nicht wundern, wenn der Staatsanwalt auf eine Absprache drängt, die sicherstellt, dass Mike bestraft wird, ohne dass eine teure und zeitaufwendige Gerichtsverhandlung mit Geschworenen geführt werden muss. Sie haben viel gegen ihn in der Hand, vor allem nach dem, was heute im Gerichtssaal passiert ist. Vielleicht brauchen sie keinen Prozess.«
»Aber was, wenn
ich
einen Prozess möchte?«
»Das können Sie dem Staatsanwalt sagen, und er wird es berücksichtigen.«
»Ich will, dass die Geschworenen ihn leiden lassen.«
»Und wenn sie das nicht tun? Wenn sie ihn freisprechen? Der Staatsanwalt wird Ihnen vermutlich raten, das zu bedenken.«
Donna schweigt. Ich rühre wieder meine Fleischsoße um.
»Fragen Sie sich eigentlich, warum ich mit so einem Mann zusammen war?«
»Nein.«
»Nicht?«
»Ich dachte, wenn Sie es mir erzählen wollen, werden Sie das schon tun.« Das habe ich von Dr. Buckley gelernt, die mich niemals drängt, etwas zu erzählen, bevor ich bereit dazu bin.
»Ich möchte es erzählen. Haben Sie so viel Zeit?«
»Ja.«
Donna erzählt, dass sie Mike Simpson vor etwas über einem Jahr kennengelernt hat. Er kam mit einem Freund in die Notaufnahme. Sie waren Motorrad gefahren, und der Freund war verunglückt. Es sah wohl ziemlich schlimm aus, wie Donna sagte – gebrochene Rippen, Beckenbruch, schwere Schürfwunden dort, wo er über die Straße geschlittert war. Donna hat ihn versorgt, und Mike kam ein paar Tage später mit Rosen als Dankeschön, und so fing es an.
»Am Anfang war er wirklich ganz toll«, sagt Donna. »Und er war gut zu Kyle. Ich habe lange gewartet, bevor ich die beiden miteinander bekannt machte. Diesen Fehler hatte ich schon bei anderen begangen, und das wollte ich diesmal nicht wieder tun.«
»Was hat sich verändert?«
»Zuerst kleine Sachen. Er hat mich oft angerufen, sehr oft. Zuerst dachte ich, er wäre einfach sehr fürsorglich. Dann bekam ich den Verdacht, dass er mich kontrolliert.«
»Hat er das?«
»Ja. Er ließ kleine Bemerkungen fallen, etwa, dass er wüsste, wo ich gewesen sei. Er drehte durch, wenn er mich mit einem anderen Mann sprechen sah. Hallo? Ich arbeite in einem Krankenhaus. Da sind nun mal viele Männer.«
»Denken Sie, das ist der Grund, weshalb er so böse auf mich war?«
»Vermutlich. Er ist sehr eifersüchtig.«
»Haben Sie Angst?«
»Ja, habe ich. Und Sie?«
»Die hätte ich gehabt, wenn Richter Robeson die Kaution nicht abgelehnt hätte.«
»Das stimmt«, sagt Donna, und bei der Erinnerung beginnen ihre Augen zu leuchten. »Er wird nirgendwo hingehen.«
Ich halte meine Hand hoch, so wie ich es vor einigen Tagen für Kyle gemacht habe. Donna klatscht mich High-Five-mäßig ab.
Später sitzen wir im Wohnzimmer, sie auf dem Zweisitzer und ich auf der Couch, und Donna erzählt mir von ihren letzten Tagen mit Mike.
»Ende August wusste ich, dass ich ihn verlassen würde. Wir hatten wieder Streit, und das passierte immer häufiger. Wir waren in der Küche, und während wir stritten, zog Mike ein Taschenmesser und fing an, es vor meinen Füßen in den Linoleumboden zu werfen, sodass es aufrecht stecken blieb. Dann zog er es immer wieder raus und warf noch mal.«
Als ich mir das vorstelle, bekomme ich eine Gänsehaut.
»Ja«, sagt sie, da sie wohl meine Reaktion bemerkt. »Das war gruselig. Er hat nie eine offene Drohung ausgesprochen. Aber er hat mich definitiv bedroht.
Jedenfalls fing ich danach an, meinen Auszug zu planen. Ich mietete das Haus, in dem wir jetzt wohnen. Ich zahlte etwas Geld auf das Konto meiner Eltern ein. Ich packte eine Tasche und versteckte sie hinten im Schrank, damit ich sofort gehen könnte, wenn ich bereit dazu wäre.«
»Ich weiß, dass er Sie geschlagen hat.«
Überrascht sieht sie mich an. »Tatsächlich?«
»Ja.
Weitere Kostenlose Bücher