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600 Stunden aus Edwards Leben

600 Stunden aus Edwards Leben

Titel: 600 Stunden aus Edwards Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Lancaster
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Zeitung. Die gestrige Höchsttemperatur betrug neun Komma fünf und die Tiefsttemperatur minus null Komma fünf Grad Celsius bei fünf Millimeter Niederschlag. Ich schreibe alles in mein Notizbuch, und meine Daten sind vollständig.
    Heute sieht es ähnlich regnerisch aus wie gestern, was ich morgen mit Sicherheit wissen werde, anstatt mich auf die Vorhersage von heute verlassen zu müssen.
    Die Vorhersage für morgen, dem Tag der Beerdigung meines Vaters, lautet überfrierende Nässe.

    Am schmiedeeisernen Tor vor dem Haus meiner Eltern – meiner Mutter – drücke ich auf den Rufknopf.
    »Ja?«
    »Ich bin’s, Mutter.«
    »Komm rein.«
    Das Tor öffnet sich, und ich lenke meinen Camry die Zufahrt hinunter. Ich sehe, dass der Cadillac DTS meines Vaters vom Parkplatz des
Yegen Golf Club
hierher zurückgebracht wurde. Mein Vaterbekommt alle zwei Jahre einen neuen Cadillac. Ich kann mich erinnern, dass er mir vor Jahren, als ich noch ein kleiner Junge war, einmal erzählte, ein Cadillac sei »das großartigste Verhandlungs-instrument, das je geschaffen wurde«.
    »Wenn sie dich in einem Cadillac ankommen sehen, wissen sie zwei Dinge«, erklärte er. »Erstens, dass du weißt, was Qualität ist. Und zweitens, dass du ihren Deal nicht brauchst. Weißt du, warum? Weil du einen gottverdammten Cadillac fährst, darum.«
    Mein Vater liebt Cadillacs.
    (Mir fällt auf, dass ich mir angewöhnen muss, von meinem Vater in der Vergangenheit zu sprechen und nicht mehr in der Gegenwart. Er
bekam
alle zwei Jahre einen neuen Cadillac. Er
liebte
Cadillacs. Vergangenheitsform.)
    Ich stelle meinen Wagen ab und sehe meine Mutter in der offenen Tür stehen, wie sie darauf wartet, dass ich hereinkomme. Sie winkt, um mir zu bedeuten, dass ich mich beeilen soll, da es anfängt zu regnen.

    Meine Mutter stellt ein Glas mit Eis und
Coca-Cola
vor mich hin. Ich sitze auf einem Sofa im Wohnzimmer. Sie hat gefragt, ob ich etwas trinken wolle, und ich habe Ja gesagt. Nun habe ich das hier bekommen. Ich entscheide mich schnell, es darauf beruhen zu lassen. Ich bin selbst schuld, dass ich meinen Wunsch nicht konkretisiert habe. Ich mag keine Cola. Ich mag keine gekühlten Getränke.
    Abgesehen von den roten Augen, scheint meine Mutter einen Fortschritt gemacht zu haben. Sie ist wieder die perfekt zurechtgemachte Frau, wie ich sie mein ganzes Leben lang kenne: jedes Haar an seinem Platz, exquisite Kleidung, gute Schuhe, perfektes Make-up. Nur ihre Augen verraten sie. Ich nehme an, es gibt keinen Weg, die zu überdecken.
    Sie wandert durchs Zimmer und gibt zusammenhanglose Sätze von sich, bei denen ich mich zusammenreißen muss, sie nicht zu kommentieren, um nicht patzig zu erscheinen (ich liebe das Wort»patzig«). Ich greife auf jede Strategie für Geduld zurück, die ich von Dr. Buckley gelernt habe, um Ruhe zu bewahren.
    »Wenn Jay nicht wäre, wüsste ich gar nicht, wie ich das alles durchstehen sollte.«
    (Ich würde es gern ohne Jay versuchen.)
    »So viele schöne Erinnerungen.« Sie streckt die Hand aus und berührt eine Maske an der Wand – ein Erinnerungsstück aus Afrika.
    (Ich war nicht dort.)
    »Er ist nicht hier geboren, aber er hat für diese Stadt gelebt.«
    (Manche denken, er habe dafür gesorgt, dass die Stadt für ihn lebt.)
    »Edward«, sagt sie und dreht sich zu mir um. »Was ist deine schönste Erinnerung an deinen Vater?«
    Die Frage ist leicht.
    »Thanksgiving 1974. Wir sind nach Midland geflogen und haben dann Thanksgiving bei Grandpa Sid und Grandma Mabel gefeiert. Wir haben gesehen, wie die Cowboys gewinnen.«
    »Da war ich nicht dabei, oder?«
    »Nein.«
    Plötzlich sieht Mutter verletzt aus – und böse. »Das ist deine schönste Erinnerung – eine, bei der ich nicht dabei bin … bei der unsere Ehe drohte, in die Brüche zu gehen?«
    Ich merke, dass ich etwas Falsches gesagt habe.
    »Du hast mich nach meiner schönsten Erinnerung mit ihm gefragt. Nicht mit dir
und
ihm.«
    »Edward, dein Vater hat mich betrogen. Wusstest du das? Er hat mich mit einer der Frauen aus seinem Büro betrogen, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihn verlasse und dass er über unsere Zukunft nachdenken soll. Und das – ausgerechnet das – ist deine schönste Erinnerung!« Meine Mutter ist definitiv böse.
    »Das wusste ich nicht. Und es ändert nichts an meiner Erinnerung.«
    »Ach, wirklich? Was ist so besonders an Thanksgiving und Football?«
    Jetzt werde ich böse.
    »Football ist alles, was ich mit ihm gemeinsam hatte. Die

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