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616 - Die Hoelle ist ueberall

Titel: 616 - Die Hoelle ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Zurdo
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Hoffnung.
    »Glauben Sie wirklich, dass Gott alles vergibt?«
    »Selbstverständlich. Möchtest du jetzt deine Sünden beichten, Audrey?«
    »Ja. Ja«, wiederholte sie, nun schon entschlossener. »Segnen Sie mich, Vater, denn ich habe gesündigt. Meine letzte Beichte war vor … fünf Jahren.«
    Der Priester, ein scharfsinniger, sensibler und außerdem gütiger Mensch, fragte: »Was ist vor fünf Jahren passiert?«
    »Mein Leben war zu Ende.«
    Die schonungslose Offenheit dieser Antwort rührte ihn.
    »Sag das nicht, mein Kind. Das Unglück, das dich in dieser Welt ereilt, macht die ewige Glückseligkeit, die unsere Seelen erwartet, nur um so süßer.«
    »Gott versucht den Schwachen nicht über seine Kraft, was?«, fragte Audrey sarkastisch.
    »Gott liebt uns über alles.«
    Audrey schüttelte kaum merklich den Kopf, unglücklich über ihren Unglauben. Ihre Zweifel kehrten zurück.
    »Hoffentlich kann ich das eines Tages wieder glauben.«
    »Es steht uns allen frei, unseren Weg zu wählen, Audrey. Und ihn notfalls auch wieder zu ändern.«
    Die Psychiaterin seufzte nochmals und sah dem Priester fest in die Augen. Mitleid und Hoffnung lagen darin. Draußen regnete es immer noch. Ein Wind, der wie ein wildes Tier brüllte, peitschte Regensalven gegen die Fenster und die Holztür der Kirche.
    »Segnen Sie mich, Vater, denn ich habe gesündigt«, wiederholte Audrey. Diesmal kniete sie dabei.
    Plötzlich schwang eines der Fenster auf – vielleicht war es nicht richtig verschlossen gewesen –, und Wasser und Wind drangen mit neuem Schwung ins Gotteshaus. Das Leinentuch, das den Altar bedeckte, flatterte verstörend im Wind. Das Licht vor dem Tabernakel erlosch.
    Dieses jähe Eindringen der Elemente hatte den Zauber er-neut gebrochen. Nachdem sie mehrere Tage umhergeirrt war, hatte Audrey beschlossen, in die Kirche ihrer Kindheit zu gehen, in der sie stets Trost gefunden hatte. Sie hatte das Be-dürfnis verspürt, ihren Frieden mit Gott zu machen, ehe sie demjenigen gegenübertrat, der ihr den Sohn geraubt hatte. An diesem Abend hatte sie Pater Litwa bitten wollen, ihre ge-quälte Seele freizusprechen. Doch das war nichts als Selbstbe-trug gewesen. Das wusste sie jetzt. Die Unschlüssigkeit war vorbei. Audrey erhob sich wieder.
    »Ich muss gehen«, sagte sie.
    »Aber deine Beichte?«
    Audrey ignorierte die Frage des Priesters.
    »Danke, Pater Litwa. Auf Wiedersehen.«

22
    Boston
    Die alte Krypta unter dem Vendange Building war der tris-teste Ort, den man sich vorstellen konnte. Der Boden bestand aus gräulichen staubigen Fliesen und war übersät mit Gesteinsbröckchen, die aus den Mauern herausgebrochen waren. An der hinteren Wand stand ein wenig erhöht der Altar. Auf einer Seite hatte das Kreuz gelegen, das Cloister aufgehoben hatte – Sinnbild des Verfalls der Krypta. Es hätte eigentlich an der Wand hinter dem Altar hängen müssen. Andere religiöse Darstellungen gab es nicht, lediglich Ge-rümpel, das man hier abgeladen hatte, statt es in den Müll zu geben: eine Laterne aus dunklem Metall mit zerbrochener Scheibe, ein Kerzenhalter mit kegelstumpfförmigem Schirm, zwei Klubsessel mit abgewetzten Bezügen und ein runder Holztisch. Ein letztes Detail vervollständigte diese seltsame Inneneinrichtung: ein Ölgemälde des Bostoner Hafens mit diversen stattlichen Segelschiffen aus dem neunzehnten Jahrhundert.
    Nach dieser flüchtigen Bestandsaufnahme bekreuzigte Pa-ter Cloister sich, sprach ein stilles Gebet und begab sich an die Arbeit. Er legte sein Notizheft auf den Altartisch und holte die Digitalkamera und das Diktiergerät hervor. Das Diktiergerät schaltete er ein, prüfte, ob die automatische Stimmaktivie-rung eingeschaltet war, und hängte es sich um den Hals. Dann begann er, den Raum zu beschreiben.
    Gründlich untersuchte er sämtliche Winkel, doch ihm fiel nichts Besonderes auf. Der Raum war sicher bereits vom Va-ter des Pförtners, für den er ein unerwarteter Glücksfall war, gründlich erforscht worden. Andererseits – angesichts der Umstände war es vielleicht eher Pech gewesen …
    Der Raum war das, wonach er aussah, und sah danach aus, was er war: eine völlig normale Krypta einer durchschnittli-chen Kirche. Cloister wischte mit seinem Taschentuch ein kleines Stück der Altarstufe ab und setzte sich. Die Taschenlampe hielt er mit beiden Händen auf die andere Seite des Raums gerichtet. Da meinte er, zwischen den Trümmern etwas hell aufblitzen zu sehen. Er ging hin, um sich die Sache anzusehen. Die

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