66095: Thriller (German Edition)
»Du hältst deine Stirnlampe in diese Richtung und sprichst mit mir, verstanden?«
Cricket nickte, dann drehte sie sich langsam um und ging. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Den Gürtel hatte sie noch umgeschnallt, er hing ihr aber lose von der Hüfte. Sie bog um die Ecke.
»Sag was!«, brüllte Kelly. »Und richte deine Stirnlampe zurück, hierher.«
Cricket überlegte schnell. Sie kramte ihre Reservelampe aus dem Schleifsack hervor, drehte das Licht ihrer Stirnlampe klein und richtete den Strahl der Lampe auf die Biegung, zurück in den Tunnel.
»Jetzt bleibe ich stehen«, sagte Cricket und ging noch 20 Meter weiter. Bemüht, nicht zu zittern, stellte sie die Taschenlampe auf einen fünf Zentimeter breiten Felsvorsprung in der Höhlenwand und richtete den Strahl in Kellys Richtung. »Ich schnalle den Gürtel ab. Ich öffne den Reißverschluss meines Overalls.«
Im Weitergehen schnallte sie den Gürtel ab und ließ ihn in den Sand fallen. Jetzt war sie befreit von diesem elektronischen Folterinstrument. Ohne den Gürtel um die Hüfte konnte sie leichter atmen. Sie sah sich eine Sekunde lang um, wohin sie das Gerät werfen konnte, damit Kelly es nicht fand. Aber der Gang war aus glattem Fels ohne Geröll; Kelly würde den Gürtel sofort finden. Sie musste ihn also mitnehmen.
»Noch eine Minute«, rief sie.
Cricket zögerte. Sie rief sich das Gefühl in Erinnerung, als sie in der Finalrunde des Leichtathletikwettkampfes von Kentucky an der Startlinie gestanden hatte. Die älteren Mädchen hatten versucht, sie durch Blicke einzuschüchtern, aber sie hatte nicht darauf geachtet, sondern getan, was ihr ihr Vater geraten hatte. Sie hatte sich auf den Augenblick konzentriert und an sich selbst geglaubt – und wäre fast Erste geworden. Dasselbe musste sie jetzt tun: sich auf den Augenblick konzentrieren und an sich selbst glauben. Sie sah auf ihren Kompass. Nord-Nordwest. Das hatte ihr Vater gesagt. Nord-Nordwest.
»Ich mache jetzt den Reißverschluss zu«, rief sie. Vorsichtig ging sie ein paar Schritte weiter, drehte sich dann um und warf einen letzten Blick in Kellys Richtung.
Die Lampe rollte herunter und schepperte über den Boden.
Cricket blieb stehen, immer noch den Gürtel in der Hand. Dann setzten sich ihre Beine in Bewegung. Mit ihren Stiefeln fand sie in dem harten, trockenen Sediment festen Halt. Binnen Sekunden war sie 100 Meter weit im Tunnel, dann beschleunigte sie das Tempo und tastete nach ihrem Helm. Sie drehte die Stirnlampe auf die größte Helligkeit und richtete den Strahl etwas höher, während sie gleichzeitig ihr Tempo steigerte.
Hinter ihr brüllte Kelly vor Wut.
10.02 Uhr
Endloskriechgang
Verbindungsweg zwischen Bailey- und Parker-Kamm
Labyrinthhöhle
Tom lief einen mit Felsblöcken übersäten Hang hinunter, wie ein Skiläufer, der einen hügeligen Abhang hinunterfährt. Er warf sich von einem Stein zum nächsten – ein Tänzer am Rand des Abgrunds. Er konnte sich auf sein athletisches Geschick verlassen, auf sein Können als Höhlenforscher und auf seine Kraft. Er hatte nur ein Ziel: So schnell wie möglich die trockenen Gänge des Parker-Kamms zu erreichen, wo er Cricket treffen würde.
Vom letzten Stein sprang er hinunter in eine Senke mit feuchtem schwarzen Sand, dann ging er vor einem horizontalen Spalt in der Felswand in die Knie. Seine Stirnlampe leuchtete in den gut 30 Zentimeter hohen Spalt, dessen Tiefe und Breite er aber nicht abschätzen konnte. Die Decke war schwarz. So weit das Auge reichte, war der Boden mit schwarzem Sand bedeckt. Es war, als blickte man in eine ausgedehnte Wüstenlandschaft unter einem bewölkten Nachthimmel.
Er wappnete sich für die vor ihm liegenden Strapazen, dann spreizte er die Beine, legte sich flach auf den Bauch und stützte sich auf den Ellbogen ab. Er steckte den Kopf durch den Spalt, um hineinzukriechen. Lyons packte Tom an den Fußknöcheln und zog ihn zurück.
»Langsamer, verdammt nochmal, Sie bringen ihn ja um«, fauchte er und machte eine Kopfbewegung in Richtung Gregor, der gebeugt dastand und vor Erschöpfung keuchte.
»Er hat gesagt, er will so schnell wie möglich zu dem Stein«, erwiderte Tom. »Ich bringe ihn hin, so schnell es mir möglich ist, damit ich meine Tochter wiederbekomme.«
Lyons packte Tom am Kragen. »Verstehen Sie denn nicht, Mann? Ohne ihn gibt es keinen Stein.«
»Ist mir doch egal«, gab Tom zurück und entwand sich dem Griff.
Lyons versetzte ihm einen Schlag auf den Helm, schüttelte ihn
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