66095: Thriller (German Edition)
ob es mit dieser gegenseitigen Unterstützung nun für immer vorbei war.
21.35 Uhr
Campbellsville, Kentucky
»Niemand rührt sich«, befahl Billy Lyons. »Wir beobachten die Sache erst mal eine Weile.«
Er und die drei geflohenen Häftlinge lagen auf dem Bauch im Gestrüpp der Böschung eines Baches hinter dem Parkplatz eines niedrigen Betongebäudes. Die grelle Neonschrift auf dem Gebäude – SOAPY SUDS LAUNDRAMAT – tauchte die Abendszene in mattes gelbes Licht. Unweit der menschenleeren Straße parkte eine alte grüne Dodge-Limousine. In der Mitte des Platzes stand ein gelbbrauner Lieferwagen, der mit einem Magnetschild für den Waschsalon warb. Aus der Perspektive der Flüchtigen schien der Wagen leer zu sein.
Am frühen Morgen waren Lyons und die Häftlinge von Central City aus noch anderthalb Stunden auf Nebenstrecken in Richtung Osten gefahren. Im Lauf des Vormittags wuchs jedoch die Befürchtung des Wärters, sie könnten gesehen werden, wenn sie noch weiterfuhren; also versenkten sie den Gefangenentransporter in einem abgelegenen Teich bei Jonesville.
Die nächsten zwölf Stunden verbrachten sie damit, in einem Dickicht hinter dem Teich abwechselnd zu dösen und Wache zu schieben. Als die Sonne unterging, marschierten sie sechs Kilometer über Felder und kleine Waldflächen und folgten schließlich einem Bach, der sie zu dem Waschsalon geführt hatte. Den letzten Wegabschnitt hatte Gregor nur noch mit Mühe bewältigt. Jetzt noch hatte der blasse Physiker die Augen geschlossen und atmete flach.
»Geht’s einigermaßen?«, flüsterte Lyons.
»Bring mich zu dem Stein, dann geht’s mir glänzend«, krächzte Gregor.
Einen Augenblick lang überlegte Lyons, ob Gregor die Wahrheit sagte, ob er je die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte für diesen Mann sein Leben aufs Spiel gesetzt. Er hatte für diesen Mann Dinge getan, die ihn an seiner Moral, an seiner geistigen Gesundheit zweifeln ließen. Es musste wahr sein. Wenn nicht, dann waren die vergangenen zwei Jahre vollkommene Zeitverschwendung gewesen. Schließlich nickte er und fasste wieder den Parkplatz ins Auge. »Der Plan ist folgender«, sagte er. »Alle außer Gregor bleiben hier. Wir schnappen uns den Dodge, schalten ihn kurz, fahren dann rüber und sammeln euch auf.«
»Den Teufel machst du«, meinte Mann. »Du wirst uns nicht bescheißen.«
»Mann hat Recht«, fand Kelly. »Gregor bleibt hier. Ich gehe mit.«
»Ich habe drei Menschen ermordet, um euch alle rauszubekommen«, sagte Lyons und überlegte fieberhaft.
»Ja, das hast du«, erwiderte Kelly mit kaltem Blick. »Und deshalb glaube ich, dass du uns im Stich lässt, sobald sich die Chance dazu bietet.«
Lyons zögerte, dann spuckte er verächtlich aus. »In Ordnung, du und ich, Großmaul. Bau keinen Scheiß.«
Die beiden sprangen auf und rannten geduckt über den Kies des Parkplatzes. Im Neonlicht warfen sie lange grünliche Schatten. Lyons ging zu dem Dodge. Unterdessen spähte Kelly in den Lieferwagen. »Der Schlüssel steckt!«, zischte er. »Und Kleidersäcke sind auch drin.«
Bevor Lyons antworten konnte, öffnete sich quietschend eine Tür, fiel wieder zu, und man hörte schlurfende Schritte. Lyons und Kelly sahen eine erschöpft wirkende Frau Mitte zwanzig, die auf den Dodge zuging. Sie trug einen gelben Plastikkorb, in dem sich Kinderkleider stapelten. Kelly ging sofort auf die Frau zu. »Keine Sorge, Miss«, begann er mit schwerem Südstaatlerakzent. »Mein Fahrer hat unsere Schlüssel verloren.«
Die Frau machte einen Schritt rückwärts und starrte auf den Schriftzug quer über Kellys orange leuchtendem Overall: KENTUCKY STRAFANSTALTEN. GEFANGENENTRANSPORT.
Lyons lächelte verlegen. »Ich bin der Wärter. Wir haben eine Panne.«
Die Frau musterte beide nervös. Als sie das Abzeichen auf Lyons’ Brust sah, entspannte sie sich. »Ach ja?«, sagte sie. »Ihr seid also die aus Eddyville?«
»Stimmt«, sagte Kelly und lächelte sie an.
»Ein Cousin von mir hat in Eddyville gesessen«, sagte sie.
»Der arme Kerl«, meinte Kelly und trat einen Schritt näher. »Ich bin ziemlich krank. Tuberkulose. Deshalb schicken sie mich ins Gefängniskrankenhaus. War Ihr Cousin da schon mal?«
»Keine Ahnung … wir, hm, haben nicht so engen Kontakt«, erwiderte sie. »Ja, ich muss jetzt weiter. Zeit fürs Bett. Um halb sechs sind meine Zwillinge aus den Federn und machen Radau. Tony ist zwei Wochen unterwegs, er ist Fernfahrer, und die Kinder schlafen jetzt, also hab ich mir die
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