66095: Thriller (German Edition)
trat sie quer über den See in nord-nordöstlicher Richtung den Weg durch die große Leere an.
Zwanzig Minuten später spürte sie, noch bevor sie es sah, dass in der Finsternis vor ihr etwas Gewaltiges aufragte. Whitney verlangsamte ihren Schritt und stellte ihre Stirnlampe auf höchste Leuchtkraft. Unmittelbar vor ihnen zeigte sich nun ein schmaler Strand und dahinter der Fuß eines gewaltigen chaotischen Bergs aus zertrümmerten Felsplatten, -blocken und -säulen. Es erinnerte sie an die Überreste der beiden Türme des World Trade Center nach dem Terroranschlag, als die Bruchstücke der Gebäude in einem schier undurchdringlichen Haufen kreuz und quer übereinander lagen. Der Trümmerhaufen wirkte wackelig und instabil, als könnte eine einzige falsche Bewegung das labile Gleichgewicht stören, das ihn aufrecht hielt, und ihn zum Einsturz bringen wie bei dem Spiel mit Bauklötzchen, wo es darum geht, so viele Teile wie möglich aus einem Turm zu entfernen, bevor er zusammenkracht.
»Donnerwetter«, murmelte Finnerty.
»Müssen wir da rauf?«, fragte Sanchez ungläubig.
»Nicht ohne Seile«, meinte Two-Elk.
»Wir haben keine Seile dabei. Sie haben es vorgezogen, auf schweres Gepäck zu verzichten, wissen Sie noch?«, sagte Whitney und schluckte schwer. »Ob es Ihnen gefällt oder nicht, wir klettern frei.«
12.00 Uhr
Walker-Kamm
Labyrinthhöhle
Auf halber Höhe am Südwesthang des neunten Kamms geriet Jeffrey Swain außer Atem. Der Physiker war in Südkalifornien aufgewachsen und hatte während seines Studiums an Surf-Wettkämpfen teilgenommen. Nach wie vor hielt er sich fit, indem er täglich anderthalb Kilometer im Schwimmbad der Universität seine Bahnen zog. Aber Wanderungen im steilen Gelände, und das auch noch bei tropisch feuchter Hitze und Nieselregen, war er nicht gewohnt.
Captain Boulter, der voranging, sprintete geradezu durch den mit Farnkraut überwucherten Wald und benutzte sein Gewehr, um Ranken und Zweige wegzuschieben, die ihm im Weg waren. Boulter marschierte nun seit fast sieben Stunden in diesem Tempo und zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen.
30 Meter hinter Swain ging sein Neffe. Chesters weißes Polohemd war schweißgetränkt, voll roter Lehmflecken und hängen gebliebenem Gestrüpp. Sein Gesicht war mit Moskitostichen übersät.
»Langsamer!«, rief Chester. »Ich kann nicht Schritt halten.«
Der Physiker drehte sich um. »Wenn du letztes Jahr angefangen hättest zu trainieren, wie ich es dir geraten habe, dann könntest du Schritt halten.«
Chester blieb stehen und sah seinen Onkel wütend an. »Kann ich dir überhaupt irgendetwas recht machen?«
Swain verschränkte die Arme. »Ich versuche nur, den Menschen aus dir zu machen, den sich deine Mutter als Sohn gewünscht hätte, Chester. Eines Tages wirst du es mir danken.«
»Du machst das großartig, mein Junge«, rief ihm Boulter zu. »Es ist jetzt nicht mehr weit bis zum Wagen. Setz immer schön einen Fuß vor den anderen.«
»Ich habe keine Füße mehr«, gab Chester beleidigt zurück, als er humpelnd seinen Onkel eingeholt hatte. »Ich hab nur noch Hackfleischklumpen an den Knöcheln.«
Nachdem die Wachposten am Nautilus-Eingang aufgestellt waren, hatten sich Boulter, der Physiker, sein Neffe und eine zweite Scharfschützengruppe zum Orpheus-Eingang aufgemacht. Wie zuvor am Nautilus-Eingang postierte der Captain die Scharfschützen, während Swain und Chester mit Sensoren den Höhlenzugang prüften. Die elektromagnetischen Signale aus dem Innern des Jenkins-Kamms waren ähnlich wie die aus dem Munk-Kamm – deutlich, aber schwach.
Am Vormittag hatten sie hoch am Steilhang des Tower-Kamms, dem achten der neun Höhenzüge des Labyrinths, den eingestürzten Vergil-Eingang aufgesucht. Da der Zugang durch eine 50 Meter tiefe Schuttschicht verschüttet war, hatten die Sensoren nichts angezeigt. Boulter verzichtete darauf, eine Wache zurückzulassen.
Jetzt stiegen sie vom Walker-Kamm ab, unter dem sich der westlichste Höhlenabschnitt befand. Boulter hatte dort am Paradiso-Eingang eine weitere Scharfschützenmannschaft platziert. Dort hatten die Sensoren eine elektromagnetische Abweichung angezeigt, die darauf hindeutete, dass sich der Stein irgendwo in einem der letzten fünf Kämme des Labyrinthsystems befand. Aber das Messergebnis gab keinen Aufschluss über die exakte Position der Mondgesteinsprobe.
Swain war enttäuscht, als sich der dichte Wald, den sie soeben durchquert hatten, plötzlich lichtete und ein
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