68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
jungen Schulmädchen Unterricht in den weiblichen Handarbeiten erteilte. Mit dem Ertrag dieses Unterrichts und jener Pension hatte sie es fertiggebracht, ihrem Sohn die polytechnische Schule zu München besuchen zu lassen. Er war ein hochbegabter und fleißiger Schüler, hatte bedeutende Fortschritte gemacht und sich sogar durch eine Preisarbeit die Mittel errungen, in Italien seine Studien fortsetzen zu können.
Frau Sandau war ein stilles, sehr anspruchsloses Wesen. Man merkte ihr wohl an, daß sie in früheren Zeiten ganz andere Ansprüche an das Leben gemachte hatte, doch zeigte sie in ihrer gegenwärtigen Lage ein immer heiteres Zufriedensein. Welche Opfer, Anstrengungen und Entbehrungen sie sich auferlegte, um ihrem Sohn eine Zukunft zu bieten, das wußte freilich nur sie allein.
Sie wohnte eine Treppe hoch, in einem Stübchen, an welches die Schlafstube stieß. In der letzteren lag sie jetzt. Sepp war sehr oft bei ihr gewesen. Er verkehrte ja vorzugsweise gern mit Leuten, welche mit den Sorgen und Nöten des Lebens zu kämpfen hatten. Zu ihnen kam er stets als tröstender Berater und war bei ihnen wohlgelitten und willkommen. Diese Frau Sandau hatte er ganz besonders in sein Herz geschlossen, und darum hatte ihn jetzt die Kunde von dem Unglück, welches ihr zugestoßen war, doppelt tief getroffen.
Er stieg leise und langsam die Treppe hinan und öffnete die Tür. Das Stübchen glänzte trotz seiner alten, einfachen Möbel vor Reinlichkeit. Es befand sich niemand in demselben. Aber aus dem Nebenzimmer, dessen Tür geöffnet war, ertönten Stimmen. Sepp trat hinzu.
Frau Sandau lag im Bett, bleich und abgezehrt, aber leuchtenden Angesichts, da sie nun den heißersehnten Sohn endlich wieder bei sich hatte. Sie erblickte den alten Freund zuerst.
„Der Wurzelsepp, da ist er“, sagte sie mit langsamer, ein wenig lallender, aber deutlich verständlicher Stimme.
„Ja, da bin ich“, antwortete er, an das Bett tretend, an welchem Rudolf kniete, die eine Hand der Mutter in der seinigen haltend. „Wann ich wüßt hätt, daß Sie krank sind, so wär ich allbereits schon längst mal kommen. Ich hab's aber soeben erst derfahren.“
„Rudolf sagte es mir. Setzen Sie sich, lieber Freund. Es freut mich, daß Sie kommen. Ich stehe im Begriff, meinem Sohn eine Mitteilung zu machen, von welcher ich haben möchte, daß Sie dieselbige auch hören. Sie sind ein zwar einfacher, aber sehr erfahrener Mann und können ihm ratend zur Seite stehen, wenn ich ihm nicht mehr zu raten vermag.“
„Mutter!“ bat Rudolf mit schmerzlichem Ton.
„Wanns ihm nimmer raten können?“ meinte auch der Sepp. „Na, will's Gott, so leben 'S halt noch lange Jahren. Hat sich die Sprach wiederfunden, so werden 'S auch bald wiederum laufen und hantieren lernen. Nur frohen Mut müssen 'S haben. Das ist die Hauptsachen.“
„Ich hoffe zwar auch, daß sich meine Krankheit zum Bessern wenden werde, aber der Schlag pflegt sich gern zu wiederholen; das kommt ganz plötzlich und unerwartet, und darum möchte ich mein Haus bestellen.“
„Wollens etwa gar ein Testament machen?“ versuchte der Sepp zu scherzen.
„Nein, ein Testament im gewöhnlichen Sinne nicht. Ich besitze kein Vermögen. Ich bin leider jetzt ärmer noch als vorher. Ich kann meinem Sohn nichts hinterlassen als meinen Segen, die wenigen armen Gegenstände, welche ich besitze, und einen Namen, welchen er – von einem Flecken zu reinigen hat.“
„Ich? Unsern Namen?“ fragte Rudolf erschrocken.
„Ja. Ich habe bisher geschwiegen. Ich wollte keinen bittern Tropfen in den so schon leeren Kelch deiner Jugendfreuden fallen lassen. Jetzt aber, wo mich möglicherweise der Tod an jedem Augenblick ereilen kann, muß ich endlich sprechen.“
„Nein, Mutter, schweig! Hast du eine Erinnerung, welche dich aufregt, so schweige jetzt noch darüber, bis du dich mehr erholt hast. Jetzt aber ist es dir gefährlich.“
„Ich habe diese Gefahr mit meiner Pflicht ganz genau abgewogen und dabei gefunden, daß es besser sei, wenn ich dir meine Mitteilungen mache. Du brauchst überdies nicht zu befürchten, daß ich mich übermäßig aufrege. Der Gegenstand, über welchen ich mit dir zu sprechen habe, ist mir niemals aus dem Sinn gekommen, und ich bin also genügsam mit ihm vertraut. Auch werde ich dir keine ausführlichen Mitteilungen machen, sondern dir nur soviel sagen, wie nötig ist, damit du im Falle meines Todes die Dokumente und Aufzeichnungen, welche du dann finden wirst, zu
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