68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
geltend. Sie war eigentlich die Fremdeste hier in der Mühle. Sie hatte still neben dem Lehrer gesessen und nur mit diesem gesprochen. Die Hände der beiden suchten und fanden sich sehr oft unter dem Tisch.
Nun richtete der König wiederholt das Wort an sie. Seine Leutseligkeit öffnete ihr das Herz, und bald zeigte sie sich ebenso unbefangen wie die anderen. Der König hatte die Absicht gehabt, einmal gute Menschen aus den niederen Kreisen des Volkes um sich zu haben, und diese Absicht war ihm gelungen.
Es ging recht eng her in der kleinen Stube. Der König, der Medizinalrat, der Pfarrer, der Lehrer, dessen Mutter, der Sepp, später kam auch der Heiner wieder. Dazu kam der Müller mit der Lisbeth und der Barbara, welche fleißig hin und her liefen, die Gäste zu bedienen – für so viele Personen wollte der Raum nicht gut ausreichen; aber das erhöhte nur die Gemütlichkeit, welche sich nach und nach geltend machte.
Es kam unter anderem auch auf den Elefanten-Hans und sein Talent die Rede. Dabei fragte der König den Lehrer, wieviel Zeit er gebraucht habe, das Gedicht zu fertigen, über welches der Hans das Bild zeichnen solle.
„Keine Zeit“, antwortete Walther. „Ich schrieb es nieder, indem ich es extemporierte.“
„Das sollte man kaum für möglich halten. Extemporieren Sie so leicht?“
„Ich könnte stundenlang ohne alle Anstrengung in Reimen sprechen.“
„Aber der Inhalt leidet gewöhnlich darunter.“
Walther sah vor sich nieder, richtete dann den Blick fast kühn auf den König und antwortete:
„Ich möchte niemals etwas Gewöhnliches sagen, selbst wenn ich es extemporiere.“
Der König schüttelte den Kopf.
„Ist diese Behauptung nicht verwegen?“ fragte er.
„Nein. Ich kenne mich.“
„Nun, so besitzen Sie ein bedeutendes Selbstbewußtsein, Herr Walther!“
Der Lehrer errötete, entgegnete aber freimütig:
„Ein Mann, welcher mehr von sich hält, als er darf, begeht einen großen Fehler. Einen noch größeren Fehler aber begeht derjenige, welcher feig verschweigt, was er zu leisten vermag.“
„Wie aber nun, wenn ich Sie beim Wort halte?“
„Ich bin bereit dazu.“
„Deklamieren Sie gut?“
„Vielleicht leidlich.“
„Max, Max!“ flüsterte ihm seine Mutter warnend zu.
Der König hielt sein Auge ernst auf den jungen Mann gerichtet. Er schien das Innere desselben durchdringen zu wollen. Dann sagte er:
„Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß ich Ihr Manuskript gefunden habe. Seitdem habe ich dasselbe nicht wieder erwähnt. Sie wissen nicht, welchen Eindruck es auf mich gemacht hat. Ich will auch jetzt noch darüber schweigen. Da Sie sich so sicher fühlen, möchte ich Sie beim Wort nehmen. Soll ich Ihnen eine Aufgabe erteilen?“
„Nein, nein!“ flüsterte die Bürgermeisterin dem Lehrer zu.
Sie hatte Angst. Es war ihre Absicht gewesen, leise zu sprechen, dennoch aber waren sie von allen gehört worden. Der Lehrer antwortete ihr in herzlichem, aber bestimmtem Ton:
„Warum nicht? Ich weiß, daß ich mich nicht zu fürchten brauche.“
„Noch wissen Sie nicht, welcherart die Aufgabe sein wird!“ warnte der König.
„Verzeihung“, bat Walther. „Ich gehöre keineswegs zu den unbescheidenen, eingebildeten Menschen, deren Vergnügungen es ist, überall möglichst hervorzutreten, aber ich beherrsche die Sprache, ich beherrsche den Reim, und wenn der Gegenstand, über welchen ich improvisieren soll, ein mir nicht ganz unbekannter ist, so glaube ich, es wagen zu dürfen, ohne mich ängstigen zu müssen.“
„Auch dann, wenn von dieser Improvisation vielleicht Ihr späteres Schicksal, Ihre Zukunft abhängen würde?“
Diese Frage wurde in ernstem, fast warnendem Ton ausgesprochen. Walther wechselte die Farbe. Das hatte er nicht erwartet. Seine Zukunft sollte davon abhängen? Wieso? Dennoch aber antwortete er beherzt:
„Auch dann, Herr Ludwig.“
„Aber Sie dürfen nicht erwarten, daß ich Ihnen eine sehr leichte Aufgabe erteile!“ sagte dieser. „Das Gedicht, welches ich von Ihnen gelesen habe, läßt mich vermuten, daß Sie südliche Bilder lieben, vielleicht wie Freiligrath, eine glühende, fließende Sprache wie Ritterhaus –“
„Es ist so“, gestand Walther. „Wie der Elefanten-Hans gern orientalische Bilder zeichnet, so nehme auch ich meine Sujets aus dem fernen Süden und Osten.“
„Nun, das freut mich. Ich will Ihnen Gelegenheit geben, zu zeigen, was Sie da leisten können, und –“
Er hielt inne, hielt abermals seinen Blick scharf
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