7 Werwolfstories
Spießgesellen waren unterwegs. Aber jetzt war er fast da.
»Ho!« rief ihm eine Kinderstimme zu. »Guter Wauwau ist da!«
Gegenüber stand das kleine Haus, wo Robby und seine zänkische Mutter wohnten. Das Kind hatte auf dem Bürgersteig gespielt. Jetzt sah er seinen vielbewunderten Retter und stapfte auf unsicheren Beinchen über die Straße. »Guter Wauwau!« rief er dabei. »Wart’ auf Robby!«
Wolf lief weiter. Jetzt war keine Zeit zum Spielen, auch nicht mit dem entzückendsten Kerlchen. Und dann sah er das Auto. Es war eine zerbeulte, über und über mit witzig sein sollenden Inschriften bepinselte Kalesche, und der Oberschüler am Steuer wollte anscheinend seiner neben ihm sitzenden Freundin zeigen, wie schnell das Ding noch fahren konnte. Sie war ein hübsches Mädchen, und wer achtete da schon auf Kinder?
Robby war direkt in der Bahn des Wagens. Wolf schnellte sich ab. Er sprang so dicht am Wagen vorbei, daß die Hitze des Kühlers seine Flanke streifte. Mit den Vorderpfoten stieß er Robby aus der Gefahrenzone. Beide rollten zu Boden, gerade als der Wagen über sein Schwanzende fuhr.
Das hübsche Mädchen schrie auf. »Homer! Haben wir sie überfahren?«
Homer sagte nichts, und der Wagen sauste weiter.
Robbys Schreie wurden lauter. »Du tust mir weh! Du tust mir weh! Bö-ö-öser Wauwau!«
Seine Mutter erschien auf der Veranda und stimmte in das Wutgeheul ein. Der Krach war fürchterlich. Um den Chorus zu vervollständigen und um seinen zerquetschten Schwanz zu beklagen, gab Wolf einen gräßlichen Heuler von sich und jagte davon. Er hatte keine Zeit, um das Mißverständnis aufzuklären.
Aber diese beiden Zwischenfälle hatten ausgereicht. Robby und der Polizist waren zu unbewußten Werkzeugen von Oscar Fearing geworden. Als Wolf an Emilys Bungalow ankam, fuhr gerade eine graue Limousine ab. Auf dem Rücksitz war ein schlankes, zierliches Mädchen, das sich verzweifelt wehrte.
Selbst ein Werwolf kann mit einem Auto nicht Schritt halten. Nach kurzer Jagd gab Wolf die Verfolgung auf und setzte sich keuchend hin. Merkwürdig, dachte er, abgehetzt wie er war, wenn man nicht schwitzen kann, muß man den Mund aufmachen und die Zunge heraushängen lassen, und …
»Hast du Schwierigkeiten?« fragte eine besorgte Stimme.
Wolf erkannte die Katze. »O Himmel, ja«, gab er aus vollem Herzen zu. »Mehr, als du es dir vorstellen kannst.«
»Hungrig?« fragte die Katze. »Der kleine Junge da hinten ist recht wohlgenährt.«
»Halt den Mund«, fauchte Wolf.
»Pardon; ich dachte nur an das, was Konfuzius mir über Werwölfe erzählte. Du bist doch nicht etwa ein Menschenfreund?«
»Doch, ich glaube, ich bin’s. Ich weiß, daß ein Werwolf ein bluttriefender Schlächter sein sollte, aber im Moment muß ich ein Menschenleben retten.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Es ist die Wahrheit.«
»Oh«, sagte die Katze philosophisch, »dunkel ist die Wahrheit und voller Täuschungen.«
Wolfe Wolf sprang auf die Pfoten. »Danke«, bellte er, »du hast mir den Weg gezeigt.«
»Wie bitte?«
»Habe keine Zeit mehr.« Und damit raste Wolf im Höllentempo in Richtung Tempel der finsteren Wahrheit.
Das schien ihm der wahrscheinlichste Ort zu sein. Schließlich hatte Fearing sein Hauptquartier dort. Zumindest erschien es als wahrscheinlich, daß der Tempel, wenn keine Anbetungen stattfanden, der Bande als Unterschlupf diente. Er raste und sprang und quetschte sich durch Lücken im Verkehr. Aber während er vorher nicht sonderlich auf sich selber geachtet hatte, wußte Wolf jetzt, daß er zwar immun gegen Kugeln, nicht aber gegen das Überfahrenwerden war. Sein Schwanz tat immer noch fürchterlich weh. Aber er mußte es schaffen. Er mußte sich von dem Verdacht reinigen, sagte er sich immer wieder; aber in
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