7 Werwolfstories
zwang sich, die Augen zu öffnen. Helles Mondlicht, das die Schneeflocken draußen zum Glitzern brachte, fiel durch das Fenster, gegen das sich eine hochgewachsene menschliche Gestalt abhob. Sie konnte zwar das Gesicht nicht erkennen, aber über das rötliche Funkeln der Augen gab es keinen Zweifel. Sie langte nach ihrem Gewehr und brachte es ungeschickt in Schußposition.
Jarmoskowski duckte nicht weg. Er hielt seine Arme etwas von seinem Körper ab, die Handflächen nach vorn gedreht, fast wie ein Bittsteller, und wartete. Unentschlossen ließ sie das Gewehr sinken. Worum wollte er sie bitten?
Als die Mündung nach unten sank, sah sie, daß die Einstellung auf Dauerfeuer stand. Sie schob sie sorgfältig auf Einzelschuß. Sie fürchtete den Rückstoß, den Newcliffe erwähnt hatte, und fühlte sich treffsicherer, wenn sie einen Schuß nach dem anderen abgeben konnte.
Jarmoskowski klopfte wieder, und sein Finger machte eine Bewegung. Sie sagte sich, daß er bestimmt schon hereingekommen wäre, wenn er es gekonnt hätte, und nahm sich Zeit, ihren Morgenrock überzuziehen. Dann, den Finger an den Abzug gelegt, ging sie zum Fenster. Es war fest verschlossen, und in der Mitte hing ein Kruzifix an einem Seidenfaden. Sie berührte es, dann öffnete sie eine kleine Scheibe direkt über Jarmoskowskis Kopf.
»Hallo, Doris«, sagte er leise. »Hinter dem Fenster siehst du wie ein Bankkassier aus. Darf ich etwas einzahlen, Fräulein?«
»Hallo.« Sie fühlte mehr Unsicherheit als Angst. War es Wirklichkeit oder nur die Wiederholung eines Alptraums?
»Was willst du? Ich sollte dich erschießen. Oder kannst du mir einen Grund nennen, weshalb ich es nicht tun sollte?«
»Ja, das kann ich. Sonst würde ich nicht dieses Risiko eingehen. Das ist aber ein gefährlich aussehendes Ding!«
»Es ist mit zehn Silberkugeln geladen.«
»Ich weiß. Man hat schon vorhin damit auf mich geschossen. Und ich biete dir ein gutes Ziel, so daß eine Flucht ausgeschlossen ist – meine Nase ist voll Rosmarin.« Er lächelte traurig. »Und Lundgren und Caroline sind tot, durch meine Schuld. Ich verdiene den Tod; deshalb bin ich hier.«
»Dein Wunsch wird dir erfüllt werden, Jan«, sagte sie. »Aber ich weiß, daß du noch einen anderen Grund haben mußt. Wohlan denn, ich nehme den Kampf mit dir auf. Aber erst habe ich einige Fragen an dich.«
»Frage.«
»Du trägst deinen Abendanzug. Paul sagte, er hätte sich mit dir verwandelt. Wie ist das möglich?«
»Aber ein Wolf hat Kleidung«, sagte Jarmoskowski. »Er ist nicht nackt wie ein Mensch. Und sicher hat Chris über den Einfluß des Pinearins auf die Zellradiogene gesprochen. Diese kleinen Körper wirken auf jede organische Materie ein, Wolle, Baumwolle, Leinen, ganz egal, was es ist. Wenn ich mich verwandle, verwandelt sich meine Kleidung auch. Ich kann es nicht gut erklären; denn es liegt einem im Blut – wie Musikalität, Doris. Entweder man kann es, oder man kann es nicht. Wenn man es kann, verwandelt man sich.«
»Jan – gibt es viele Menschen, die so sind wie du? Chris schien anzunehmen…«
Jarmoskowskis Lächeln wurde leicht spöttisch. »Geh’ an einem beliebigen Tag in einen Bahnhof – Waterloo, eine Untergrundbahnstation, Grand Central in New York; stell dich auf einen erhöhten Platz und betrachte die Menge in einem Spiegel. Wir sind in einem mit Silber unterlegten Spiegel nicht sichtbar. Oder frage in Amerika einen von diesen Straßenfotografen, die einen gegen den eigenen Willen knipsen und einem dann die Bilder verkaufen wollen, wie viele seiner Schnappschüsse nur den Hintergrund zeigen.«
Seine Stimme verdunkelte sich und nahm einen feierlichen Klang an. »Lundgren hat mit allem, was er sagte, recht gehabt. Heutzutage ist die Lykanthropie nur noch
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