7 Werwolfstories
eine Krankheit. Wir sind nicht unsterblich. Vor langer Zeit muß es Mutationen gegeben haben, bei denen die Zirbeldrüse aktiviert war; aber keine der Arten überlebte, außer den Werwölfen, und die Werwölfe sind Besessene – wie ich. Wir sterben aus.
Eines Tages wird es wieder eine Mutation geben, bei der die Aktivität der Zirbeldrüse in andere Bahnen gelenkt ist, und dann werden alle Menschen ihre Gestalt verändern können, ohne dafür diesen schrecklichen Kannibalismus als Strafe auf sich nehmen zu müssen. Aber für uns, die Lykanthropen, die lebenden Irrtümer der Evolution, gibt es keine Hoffnung.
Es ist nicht gut, wenn ein Mensch von Land zu Land wandern muß, immer wissend, daß er in den Augen seiner Mitmenschen ein Monstrum und von seinem Gott auf ewig verflucht ist – wenn er überhaupt einen Gott hat. Ich bin durch Europa gereist, habe Konzerte gegeben und damit anderen Freude bereitet, ich habe für andere Kompositionen geschrieben, habe Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen, und immer gab es früher oder später Geflüster, seltsame Blicke und aufkeimenden Schrecken.
Ob ich nun als das Scheusal gejagt wurde, das ich war, oder ob es sich nur um einen langsam wachsenden Abscheu handelte – man hat mich vertrieben. Haß, Silber, Kruzifixe – das ist im Grunde genommen alles dasselbe.
Manchmal konnte ich ein paar Monate ungestört an einem Ort bleiben, und dann bekam mein Leben den Anstrich eines normalen Daseins. Ich konnte mich der Musik widmen und Menschen um mich haben, die ich gern hatte, und – selber Mensch sein. Dann blühte die Wolfsblume wieder, und die Luft trug ihren Blütenstaub, und wenn das Licht des Mondes auf diese Blume fiel, dann kochte in meinem Blut dieses Etwas, das ich in mir trage.
Und dann machte ich meinen Freunden gegenüber Ausflüchte und ging nach Schweden, wo Lundgren lebte, und wo es viel später Frühling wurde. Ich hatte Lundgren sehr gern, und ich glaubte, er hat nie etwas gemerkt bis vorgestern abend; ich war immer sehr vorsichtig.
Ein- oder zweimal reiste ich nicht nordwärts, und dann hämmerten die Leute, die meine Freunde gewesen waren, hinter meinem Rücken Silber und warteten an dunklen Ecken auf mich. Nachdem das jahrelang so gegangen war, wollte man mich nicht mehr in Mitteleuropa. Gleichzeitig mit meinem Ruhm als Komponist und Pianist verbreiteten sich dunkle Gerüchte, von denen keines die Wahrheit traf, aber nahe genug herankam.
Städte, in denen ich nie zuvor gewesen war, verschlossen mir ihre Pforten. Die Konzertsäle waren auf viele Monate voraus gebucht, so daß ich keinen Termin bekommen konnte, Gasthöfe und Hotels waren auf unbestimmte Zeit belegt, niemand hatte mehr Zeit, mit mir zu sprechen, meinem Spiel zu lauschen, mir einen Brief zu schreiben.
Ich war auch verliebt, aber – darüber kann ich nicht sprechen.
So ging ich nach Amerika. Dort glaubt niemand an Werwölfe. Ich suchte nach wissenschaftlicher Hilfe, worum ich Lundgren nie gebeten hatte, weil ich fürchtete, ihm zu schaden. Aber ich hoffte drüben jemanden zu finden, der mit dem fertig werden konnte, was aus mir geworden war. Ich pflegte zu sagen, ich sei während einer Jagd auf Graf Hrutkais Besitzungen gebissen worden und hätte im Herbst darauf den ersten Anfall gehabt.
Aber alles schlug fehl. Gleichgültig, wohin ich gehe, der primitive Haß gegen das, was ich bin, ist im Herzen der Menschen genauso verankert wie in den Herzen der Hunde. Es gab keine Hilfe für mich.
Ich bin gekommen, um zu bitten, daß endlich ein Ende gemacht wird.«
Langsam rollten Tränen über Doris’ Wangen. Die Stimme schwand dahin. Sie schien nicht zu verstummen, sondern sich in eine private Hölle
Weitere Kostenlose Bücher