7 Werwolfstories
Frau wie Lisa
Der Mond war gerade aufgegangen. Sein Licht fiel auf den See, und als Violet hereinkam, wob es ein silbernes Netz um ihr Haar.
Aber es war nicht das Mondlicht, das ihr Gesicht so bleich erscheinen ließ. Es war die Angst.
»Was hast du?« fragte ich.
»Ein Werwolf«, sagte Violet.
Ich legte meine Pfeife hin, erhob mich aus dem Sessel und ging zu ihr. Währenddessen starrte sie mich weiter an; sie stand da wie eine große Porzellanpuppe mit Glasaugen.
Ich schüttelte sie bei den Schultern. Der leere Blick verschwand.
»Also, was war?« fragte ich.
»Es war ein Werwolf«, flüsterte sie. »Ich hörte ihn, wie er mir im Wald nachlief. Seine Pfoten tappten hinter mir her. Ich hatte zuviel Angst, um mich umzudrehen, aber ich wußte, daß er da war. Er schlich näher und näher, und als der Mond aufging, heulte er auf. Dann rannte ich.«
»Du hast ihn heulen gehört?«
»Ich bin mir fast sicher.«
»Fast!«
Ihre Augen versteckten sich hinter den gesenkten Wimpern. Sie ließ den Kopf hängen, und in ihre Wangen schoß eine flammende Röte. Ich beobachtete sie und nickte.
»Du hast in der Nähe der Hütte einen Wolf heulen gehört?« wiederholte ich.
»Hast du – denn nicht …?« brachte sie mit erstickter Stimme hervor.
Ich schüttelte langsam und entschieden den Kopf.
»Bitte, Violet. Wir wollen vernünftig sein. In der letzten Woche haben wir das zwar ein halbes dutzendmal durchgekaut, aber ich bin bereit, es noch einmal zu versuchen.«
Ich nahm sie ganz sanft bei der Hand und führte sie zu einem Stuhl. Dann gab ich ihr eine Zigarette und reichte ihr Feuer. Die Zigarette zitterte zwischen ihren Lippen.
»Jetzt hör zu, Liebling«, begann ich. »Hier gibt es keine Wölfe. Kanadische Wildnis oder nicht – hier hat man seit zwanzig Jahren keinen Wolf mehr gesehen. Der alte Leon unten im Dorf kann das bestätigen. Und selbst wenn sich ein Wolf aus dem Norden hierher verirrt hat und am See herumlungert, heißt das noch lange nicht, daß es ein Werwolf ist. Du und ich haben genug gesunden Menschenverstand, um über einen solchen dummen Aberglauben zu lachen. Jetzt versuche mal, die Franzosen unter deinen Vorfahren zu vergessen und erinnere dich bitte genau daran, daß du mit einem Experten auf dem Gebiet der Sagen und Legenden verheiratet bist.«
Der Seitenhieb auf ihre französische Abstammung war ziemlich brutal, aber ich wollte sie aus ihrer tristen Stimmung herausreißen.
Die Wirkung war genau entgegengesetzt. Sie begann zu zittern.
»Aber, Charles, du mußt doch etwas gehört haben!« sagte sie.
»Nichts«, murmelte ich.
»Und wenn ich ihn nachts um die Hütte herumstreifen hörte – hast du da auch nichts bemerkt?«
»Nichts.«
»Die Nacht, als ich dich aufweckte – hast du da nicht seinen Schatten an der Wand gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf und zwang mir ein Lächeln ab. »Es täte mir leid, wenn du zu viele meiner Geschichten gelesen hättest, Liebling«, sagte ich. »Aber ich weiß nicht, wie ich mir sonst deine – äh – Wahnvorstellungen erklären sollte.«
Violet zog an ihrer Zigarette, und das Ende glühte auf. Ihre Augen blieben ausdruckslos.
»Du hast nie von diesem Wolf gehört? Er ist dir nie im Wald nachgelaufen? Auch nicht, als du allein hier warst?« Ihre Stimme klang beschwörend.
»Ich fürchte nein. Du weißt, daß ich einen Monat eher herkam, um zu schreiben. Und das tat ich auch. Ich sah keine Werwölfe, Geister, Vampire, Dämonen, Djinns oder andere Ungeheuer. Nur Indianer, Franzosen und normale Menschen. Einmal, als ich von Leon zurückkam, bildete ich mir ein, einen rosa Elefanten zu sehen, aber das stellte sich als Irrtum heraus.«
Ich lächelte; sie nicht.
»Ich frage mich allen Ernstes, Violet, ob es nicht ein Fehler war, dich herkommen zu lassen. Aber ich dachte, du würdest dich
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