7 Werwolfstories
in die alten Zeiten zurückversetzt fühlen. Schließlich sollte der Aufenthalt in dieser Wildnis für eine Französisch-Kanadierin ein Vergnügen sein. Aber jetzt frage ich mich …«
»Du fragst dich, ob ich wahnsinnig bin.«
Die Worte kamen ganz langsam über ihre Lippen.
»Nein«, murmelte ich. »Das habe ich nie gesagt.«
»Aber gedacht, Charles.«
»Nicht im entferntesten. Jeder Mensch hat mal … Stimmungen. Jeder Arzt wird dir sagen, daß Störungen des Wahrnehmungsvermögens nicht unbedingt auf eine geistige Störung hindeuten müssen.«
Ich sprach hastig, konnte aber sehen, daß sie nicht überzeugt war.
»Du kannst mir nichts vormachen, Charles. Und ich kann mir selbst auch nichts vormachen. Irgend etwas stimmt nicht.«
»Unsinn. Denke nicht mehr daran.« Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht ganz. »Außerdem sollte ich der letzte sein, der diese Möglichkeit auch nur andeutungsweise erwähnt. Du weißt ja – wer im Glashaus sitzt und so weiter. Erinnerst du dich noch, wie ich dich vor unserer Hochzeit in Quebec als Hexe zu bezeichnen pflegte? Ich nannte dich die rote Hexe des Nordens und dichtete all diese Sonette, die ich dir dann ins Ohr flüsterte.«
Violet schüttelte den Kopf. »Das war etwas ganz anderes. Du wußtest, was du tatest. Du hast keine Dinge gesehen oder gehört, die es gar nicht gibt.«
Ich räusperte mich. »Ich möchte dir einen Vorschlag machen, Liebes. Du hast doch mit niemand außer mir darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Nun, ich möchte dem allen ein Ende bereiten. Ich sehe, daß du dich damit abquälst. Aus diesem Grund – und nur aus diesem einzigen Grund – schlage ich vor, daß wir Doktor Meroux kommen lassen. Natürlich nur für eine Beratung.
Ich halte sehr viel von ihm, nicht nur als Arzt, sondern auch als Psychiater. Wie du weißt, ist die Psychiatrie sein Steckenpferd. Natürlich ist er nur ein Amateur mit einer Hinterwäldler-Praxis, aber er genießt einen guten Ruf. Ich bin sicher, daß er alles, was du ihm sagst, vertraulich behandelt. Und vielleicht kann er gleich die richtige Diagnose stellen.«
»Nein, Charles. Ich will nicht mit Doktor Meroux sprechen.«
Ich runzelte die Stirn. »Wie du willst. Aber mich interessieren deine Ideen über einen mysteriösen Werwolf. Ich möchte gern wissen, was du in deiner Kindheit über ›loup-garous‹ gehört hast. Deine Großmutter hatte doch indianisches Blut, nicht wahr? Hat sie dich nie mit irgendwelchen Schauergeschichten zu Tode erschreckt?«
Violet nickte. »Oui – ich meine, ja.«
Ich bemerkte diesen Rückfall in die Sprache ihrer Kindheit, ließ mir aber nichts anmerken.
»Hat sie dir von den Wolfsmenschen erzählt, den Lykanthropen, die sich verwandeln, wenn der Mond ruft, und bellend auf allen vieren herumlaufen? Hat sie dir erzählt, wie sie auf Beute gehen und nach den Kehlen ihrer Opfer schnappen, die dadurch selbst mit dem unheilvollen Virus infiziert werden?«
»Ja, das hat sie mir oft erzählt.«
»Aha. Und jetzt, da du in die Wildnis zurückgekehrt bist, kommen die Ängste deiner Kindheit wieder an die Oberfläche. Der Werwolf, mein Liebes, ist lediglich das Symbol für irgend etwas, wovor du dich fürchtest. Vielleicht ist es ein Schuldkomplex in deinem Unterbewußtsein, der sich in der Halluzination eines Untiers ausdrückt, das den Zeitpunkt ablauert, an dem es offen in Erscheinung treten kann.
Ich bin noch nicht mal ein Amateur-Psychiater wie Doktor Meroux, aber ich glaube mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, daß eine solche Einbildung ganz natürlich ist. Wenn du offen mit mir darüber sprechen würdest, könnten wir vielleicht die Art deiner Furcht erkennen und das Übel an der Wurzel packen, das sich dir als knurrendes Untier darstellt, als mythologisches Zwitterwesen, das im
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