72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
darfst du nicht.“
„O gewiß, ich muß zweifeln. Was ist alles andere gegen eine große, wahre, wirkliche Liebe. Sagt nicht die Heilige Schrift, daß die Liebe alles verträgt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet und auch alles überwindet? Und die deinige will nichts, gar nichts hoffen und überwinden.“
Sie blieb schweigend und an ihn gelehnt stehen. Nach einigen Augenblicken antwortete sie mit stockender Stimme:
„Rudolf, du weißt, wie ich dich liebe.“
„Bisher habe ich es geglaubt.“
„Glaube es, glaube es auch weiter! Meinst du, daß es mir ein Leichtes ist, von Trennung zu sprechen? Grad dies muß dir beweisen, daß ich dich wahr und selbstlos liebe.“
„So ist meine Liebe nicht so selbstlos wie die deinige. Sie ist egoistisch. Ich will glücklich sein, glücklich, glücklich; hörst du wohl? Und das kann ich nur sein, wenn ich dich habe. Du willst mir ein großes, schweres Opfer bringen, indem du mir alles gibst und nichts behältst. Ich kann es nicht annehmen. Dafür aber erbitte ich mir ein anderes Opfer. Gib dich mir! Du bist mir werter und lieber als alles. Nur mit dir nehme ich auch das andere. Willst du, meine Milda? Willst du?“
Er beugte sich tief zu ihr nieder. Er hatte so innig und dringend gesprochen, daß sie die Anne um ihn schlang und leise antwortete:
„Würdest du es nicht bereuen?“
„Nein, niemals!“
„Und was wird deine Mutter dazu sagen?“
„Sie wird ganz glücklich sein, da du ihr damit den innigsten und herzlichsten Wunsch erfüllst.“
„So bin ich ihr willkommen?“
„Hoch willkommen! Sie hat dich lieb gehabt von dem Augenblick an, an welchem du zum ersten Mal zu ihr nach Eichenfeld kamst. Drum sag, willst du nun endlich mein sein?“
„Ja, Rudolf, ich will. Versuche es mit mir. Ich werde mir Mühe geben, euch vergessen zu machen, was mein Vater euch getan hat.“
„Es ist vergeben und vergessen. Dadurch, daß sein Kind mein eigen wird, ist alles gesühnt.“
Er drückte sie fest, fest an sich und küßte sie. Sie hielt ihn innig umschlungen und weinte vor Freude und Rührung.
Sie achteten nur auf sich und bemerkten also nicht, daß eine hohe Gestalt langsam auf sie zukam.
Es war der König. Auch er war tief in Gedanken versunken. Er hatte den Garten aufgesucht, um dem Geräusch zu entfliehen, welches durch die im Theater vorzunehmenden Vorbereitungen verursacht wurde. Erst als er sich bereits in ihrer Nähe befand, bemerkte und erkannte er sie.
„Ah, Herr von Sandau“, sagte er, indem er das Wörtchen ‚von‘ betonte, „ist die Lösung des Konfliktes erreicht?“
Milda machte in mädchenhafter Scham eine Bewegung, als ob sie entfliehen wolle. Rudolf aber hielt sie fest und antwortete, indem er sich tief verneigte:
„Ich habe gefunden, was ich suchte, Königliche Majestät, Glück und Erhörung.“
„So halten Sie es fest, dieses Glück. Ihr König wird das Seinige tun, es zu befestigen. Senden Sie mir seinerzeit die betreffenden Unterlagen ein, und nehmen Sie jetzt meine aufrichtigen Glückwünsche!“
Er legte Milda leise die Hand auf das Haupt und schritt dann langsam weiter.
Rudolf zog die Geliebte an sich und sagte leise und gerührt:
„Seine Hand lag auf deinem Scheitel. Du besitzt den Segen unseres Königs; er ist die Gewähr, daß unser Glück kein Ende nehmen wird.“
Die Arme umeinander geschlungen, schritten sie in entgegengesetzter Richtung davon, um den König nicht zu stören.
Als sie in das Innere des Theaters gelangten, trat ihnen Frau von Sandau entgegen. Dieselbe hatte beobachtet, daß sie sich vorhin entfernten, und nun ihre Rückkehr mit Sehnsucht erwartet. Als sie die Augen ihres Sohnes so hell und glücklich leuchten sah, rief sie freudig aus:
„Ist es dir gelungen, ihre Bedenken zu besiegen, Rudolf?“
„Wohl noch nicht ganz. Aber sie will mein sein. Hier hast du deine Tochter, liebe Mutter.“
Milda eilte in die Arme der Frau, welche sich zärtlich um sie schlossen. Die warmen Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden, waren nicht zu hören unter den Klängen des Orchesters, welches jetzt eine Einleitung zu spielen begann.
Dann erklangen die rauschenden Takte der Polonaise, welche auf den Karten als erster Tanz verzeichnet war.
Der alte Sepp stand hinter der Kulisse und schaute sich nach einer Tänzerin um. Da kam die Leni herbei.
„Sepp, tanzt die Polonaise?“ fragte sie.
„Natürlich.“
„Mit wem?“
„Ich hab mir eben die alte Barbara sucht.“
„Nein. Diesen ersten Tanz
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