77 Tage
Trauzeugin.
Weil ich Ahnung habe von Beziehungsdingen. Weil ich seit zehn Jahre mit demselben Kerl zusammen bin, ohne zur Mutti zu mutieren. Hah! Ich bin ihr großes Vorbild an Treue, Emanzipation, Familienleben. Ausgerechnet.
Garantiert wird sie ihre Meinung ändern. Sobald sie erfährt, dass ich schwanger bin. Und meine emanzipierte Beendigung eines Ehestreits ›im Badezimmer einschließen‹ lautet.
Natürlich habe ich Sina noch immer nichts von den Geschehnissen erzählt. Im Augenblick hat Sina selbst genug Probleme. Andere Probleme als letzte Woche. Als ich sie noch von der Umsetzung verschiedener Mordpläne hatte abhalten müssen.
Aber eine Hochzeit vorzubereiten ist ebenfalls stressig. Auch wenn das Ereignis erst in sechs Monaten stattfinden soll. Im kleinen Kreis. Allerdings ziemlich extravagant. Auf einem Fischkutter vor Helgoland. Was die Planung nicht einfacher macht.
Keine Ahnung, wie die beiden darauf gekommen sind. Aber womöglich die beste Lösung. Mit anderen Menschen treten Sina und Dieter normalerweise nur per E-Mail in Kontakt. Mal abgesehen von mir. Da erscheint es beinahe sinnvoll, dass sie ihre Hochzeit so gut wie allein verbringen. Und Freunde und Bekannte das Ereignis auf einer durchgestylten Homepage verfolgen können.
Der kleine Kreis der Familie umfasst allerdings noch immer dreißig Leute. Die alle auf einer Insel Asyl finden sollen, die man nur per Boot erreicht. Dazu kommt die Suche nach einem nordischen Buffet. Einem ostfriesischen DJ. Und einem hochseetauglichen Hochzeitskleid.
Da will ich Sina nicht auch noch belästigen. Mit meinem Badezimmer, in dem ich in letzter Zeit die Abende verbringe.
Darüber hinaus ist es zu peinlich.
Meine Kollegin Betti fällt mir ein. Sie hat vor Kurzem gefragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Hat mir Hilfe angeboten. Weil ich mich so oft übergebe. Vielleicht ahnt sie die Schwangerschaft. Oder sie vermutet ein Alkoholproblem. Aber ich will nicht auch noch auf der Arbeit als Null dastehen. Bemitleidet werden. Belächelt.
Mario hat übrigens einen weiteren Anlass zu Ärger gefunden: meinen Computer.
In Zukunft schreibe ich nachmittags. Wenn er nicht da ist. Denn wenn er abends nach Hause kommt, wünscht er sich meine Aufmerksamkeit. Wenn schon nichts wirklich Essbares auf dem Tisch steht und das Haus nicht geputzt ist. Dann soll ich mir wenigstens anhören, was er zu meckern hat.
Soeben habe ich eine neue Taktik getestet. Um erwachsener auf seine Brüllerei zu reagieren. Und weniger erbärmlich.
Harry und Waltraud sind vor einer halben Stunde gegangen. Sie hatten sich zum Mittagessen eingeladen. Weil ja mein freies Wochenende ist. Ich hatte beschlossen, das Geschirr einfach auf der Spüle stehen zu lassen. Bis morgen. Schließlich ist Sonntag. Ich habe genug Zeit, aufzuräumen.
Mario kann es nicht ausstehen, wenn schmutziges Geschirr herumsteht. Genau genommen kann er gar nichts ausstehen, was herumsteht.
Also fing er wieder an zu meckern. »Ich verstehe nicht, wie man dich eigenverantwortlich arbeiten lassen kann! Du bist nicht in der Lage, auf einer Müllkippe die Hygienevorschriften einzuhalten!«
Sinngemäß.
Ich hatte keinen Bock auf Streit. Und ich habe mir geschworen, mich nie wieder im Bad einzuschließen. Also versuchte ich die ruhig-sachliche Methode. Konfliktumgehung.
»Ich hab keine Lust, mich anbrüllen zu lassen. Ich geh an meinen Computer. Sag Bescheid, wenn du dich abgeregt hast.«
Leider legt Mario auf Konfliktumgehung keinen Wert.
»Kommt nicht infrage! Das wird erst weggeräumt!«
Ich tat, als hörte ich ihn nicht. Drehte mich um. Nicht zu eilig. Lief die Treppe hoch. Erreichte mein Zimmer.
»Du kannst dir ruhig mal ein bisschen Zeit für mich nehmen, statt ewig vor dem Scheißcomputer zu sitzen!«
Ich habe die Tür hinter mir zugemacht. Mich an meinen Schreibtisch gesetzt. Den Laptop eingeschaltet.
Er polterte die Treppe hoch. Hinter mir her. Die Tür flog auf und krachte gegen die Wand.
»Wenn – Küche – morgen früh – nicht – tipptopp …« Mario sprach überbetont. Als wäre ich ein polnischer Schwarzarbeiter, der zusammenhängende Sätze nicht versteht. »… dann – das – aus dem – Fenster! Kapiert?«
›Das‹ war mein Notebook.
»Ich räume morgen früh auf«, erklärte ich ruhig. Und sachlich. Während ich die ersten Zeilen dieses Textes tippte.
»Klar! So wie du immer den Müll rausbringst. Und den Staubsauger wegräumst. Oder so, wie du das hier in den Geschirrspüler geräumt
Weitere Kostenlose Bücher