80 Days - Die Farbe der Erfüllung: Band 3 Roman (German Edition)
wanderte über meinen Körper, blieb aber schließlich an meinem Geigenkasten hängen, der am Sitzsack lehnte.
»Bist du ein neues Bandmitglied?«, fragte er.
»Nein, ich habe hier und da mal mitgespielt, aber mittlerweile mache ich hauptsächlich klassische Musik.«
»Zeig mal her, ich schaue mir immer gern Instrumente an.«
»Die Geige? Bitte sehr.«
Ich öffnete den Kasten und reichte ihm die Bailly.
Behutsam strich er über das polierte Holz des Geigenkörpers.
»Spielst du?«, fragte ich neugierig. Die Augen, mit denen er mich eben noch so intensiv angeflirtet hatte, waren nun ganz auf mein Instrument fixiert.
»Nicht Geige, nein«, erwiderte er, ohne den Blick zu heben. »Aber ob du es glaubst oder nicht, ich habe klassische Musik auf dem Klavier gespielt. Wo hast du die her? Ein wirklich schönes Instrument.«
Ich errötete, weil ich an Dominik und den ungeschriebenen Vertrag denken musste, in den ich eingewilligt hatte, um die Bailly zu bekommen.
»Ein Geschenk«, sagte ich.
»Echt?«, staunte er und schaute mir jetzt in die Augen. »Das muss aber ein guter Freund sein. Weißt du, wo er sie herhat?«
»Für dich ist sofort klar, dass ich sie von einem Mann habe?«
»Ja. Also, wo hat er sie her?«
»Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht so genau. Von einem Händler, nehme ich an. Es war ein Zertifikat dabei. Die letzte Besitzerin hieß Edwina. Edwina Christiansen. Aber ich weiß nichts über sie. Ich habe mal nach ihr gegoogelt, aber nichts gefunden. Bist du Sammler? Oder suchst du gerade eine?«
»Nein, nein. Bin bloß neugierig. Ich mag schöne Sachen.« Als er mir die Bailly zurückgab, verharrten seine Finger eine Weile auf meinen.
»Warum spielst du sie nicht für mich?«, fragte er.
»Jetzt?«
Chris’ Band war gerade bei den Schlussakkorden ihres letzten Songs angelangt.
»Ja. Komm, spiel für mich.«
Natürlich hätte ich ablehnen können. Schließlich hatte ich die Geige in der Hoffnung mitgebracht, ein oder zwei Stücke zusammen mit Chris und der Band zu spielen. Aber Viggo war ein Förderer der Groucho Nights, da war es sicher in ihrem Sinn, wenn ich nett zu ihm war.
Chris und die Band beendeten ihren letzten Song, und Viggo stand auf und applaudierte kräftig.
»Nicht schlecht«, sagte er. »Jetzt möchte ich aber gern mal die Geige hören. Habt ihr noch ein Stück auf Lager?«
Chris, der sich ziemlich verausgabt hatte und mächtig ins Schwitzen gekommen war, lächelte breit.
»Klar. Na los, Summer.«
Ich nahm die Geige und stellte mich neben ihn.
»Nur ein bisschen improvisieren«, sagte er und stimmte eine Folkmelodie an, die wir schon öfter zusammen gespielt hatten. Ella ließ die Finger vom Schlagzeug, um mich nicht zu übertönen, und schüttelte stattdessen ein Paar Maracas. Es war sicher nicht meine beste Darbietung, aber ich fand schnell wieder in den Rhythmus hinein, fast, als hätte ich das Stück erst am Tag zuvor gespielt.
Anfangs hemmte es mich ein wenig, vor Viggo zu spielen, zumal die Rocknummern nicht zu meinem Standardrepertoire gehörten, doch nach wenigen Minuten hatte ich seine Anwesenheit völlig vergessen und ging ganz im Rhythmus der Musik auf.
Erst als ich am Schluss die Augen öffnete, bemerkte ich, dass er mich unentwegt ansah, aber nicht, um mich mit den Augen auszuziehen, wie Dominik das stets getan hatte. Er war ganz auf die Geige konzentriert, als würde er sie wie ein Kunstwerk bewundern.
Auf dem Rückweg zur Wohnung dachte ich darüber nach, wie verschieden diese beiden Männer waren, vor allem in ihrer Art, mich beim Musizieren zu beobachten.
Chris schwebte im siebten Himmel und merkte gar nicht, dass ich mit den Gedanken ganz woanders war.
»So könnte es von mir aus jeden Tag weitergehen, bis ans Ende meines Lebens«, sagte er mit rotem Kopf, als wir uns in ein Taxi quetschten. »Vor allem, wenn du dabei bist, wir mit dem Taxi überallhin kutschieren und du das bezahlst.«
Ich hatte mir in New York das Taxifahren angewöhnt, weil ich keine Lust mehr hatte, meine Geige in der U-Bahn mit mir herumzuschleppen. Ich hatte von meinen letzten Konzerttourneen noch jede Menge Geld, und auch die Alben brachten unterdessen einiges ein.
Meine Agentin Susan hatte mich mit eindringlichen Mails bombardiert und gefragt, was ich vorhabe. Aber bestimmt wusste sie bereits von Simón, dass ich nicht mehr bei ihm wohnte und mir eine Auszeit nahm.
Um die Wahrheit zu sagen, ich dachte kaum an Simón oder überhaupt an New York. Ich hatte so rasch wieder
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