80 Days - Die Farbe der Lust
Schicht an, und ich konnte es mir nicht leisten, derart abgelenkt zu sein. Schon in den vergangenen Wochen war ich nicht wie sonst fröhlich und gut gelaunt gewesen, weil mich die vielen Ereignisse in meinem Leben so stark beschäftigt hatten. An dem Tag nach meinem letzten Auftritt bei Dominik hatte ich deshalb eine inoffizielle Verwarnung bekommen. Innerlich aufgewühlt, wie ich war, hatte ich einige Gläser fallen lassen und offenbar jemandem falsch rausgegeben. Jedenfalls wies die Kasse am Ende des Abends ein Minus von zwanzig Pfund auf, und an diesem Tag hatte vorwiegend ich die Kasse bedient.
Um mich aufzumuntern, zog ich Turnschuhe und Sportkleidung an und ging laufen. Ich joggte zur Tower Bridge und dann die Themse entlang, nahm die Abkürzung über die Millennium Bridge und lief auf der anderen Seite zurück. Dabei hörte ich Musik aus den USA , die mir bei meiner Entscheidung helfen sollte: das neueste Album der Black Keys, eine von Chris’ Lieblingsbands. Chris und ich hatten uns gleich in meiner ersten Woche in London bei ihrem Konzert im Hackney Empire kennengelernt, wo wir beide in der ersten Reihe saßen.
Kaum wieder zu Hause, rief ich Chris an, einfach nur um seine Stimme zu hören. Aber er nahm nicht ab. Ich hatte ihn seit Charlottes Party nicht mehr gesehen. Und während ich mich immer tiefer in die Fetischwelt begab, wuchs meine Befürchtung, es könnte zwischen uns eine womöglich unüberbrückbare Kluft entstehen. Wie sollte ich die beiden Seiten meines Lebens miteinander versöhnen und wie unsere Freundschaft aufrechterhalten, ohne ihm diesen Bereich meines Lebens zu verheimlichen, den er, wie ich glaubte, missbilligte?
Nach dem Laufen war ich zwar ein bisschen ausgeglichener, aber immer noch reichlich durch den Wind, als ich ins Restaurant kam. Also versuchte ich, alles zu verdrängen und mich ausschließlich auf das stetige Brummen der Espressomaschine zu konzentrieren, auf das doppelte Klacken, wenn ich den Siebträger in die Maschine drehte, und auf das leise Jaulen beim Aufschäumen der Milch.
Es dauerte nicht lange, bis meine besondere Gabe der Selbsthypnose wirkte. Ich war voll und ganz von der langen Reihe der Bestellzettel für Cappuccino und Latte macchiato in Anspruch genommen, als ein Männertrupp hereinkam und sich setzte, ohne darauf zu warten, dass man ihnen einen Platz anwies. Banker oder Vertriebsberater, schätzte ich aufgrund ihrer schicken Anzüge und ihrer Arroganz, als ich schließlich auf sie aufmerksam wurde.
»Summer, kannst du uns hier kurz helfen?«
Aus meinem Tagtraum aufgeschreckt, sah ich, dass einer der Kellner noch in der Pause und mein Chef damit beschäftigt war, an einem anderen Tisch zu kassieren. Er wies mit dem Kinn auf die Neuankömmlinge, und ich legte die Kaffeebestellungen für einen Moment beiseite, um den Männern die Speisekarte zu bringen. An ihrem dröhnenden Gelächter und ihren verschwitzten Gesichtern merkte ich, dass einige von ihnen schon ganz schön getankt hatten. Vielleicht einen Kübel Schampus im Büro, um auf einen großen Deal anzustoßen.
Ich wollte gerade wieder gehen, da packte mich der offensichtliche Leithengst der Gruppe am Handgelenk.
»He, Schätzchen, heute hat unser Freund hier Geburtstag.« Er deutete auf einen nüchternen Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß und sehr verlegen wirkte. »Vielleicht kannst du uns mit etwas Ausgefallenem dienen, wenn du verstehst, was ich meine?«
Mit zuckersüßem Lächeln entwand ich ihm diskret meinen Arm. »Aber sicher«, erwiderte ich, »unser Kellner ist gleich für Sie da und wird Ihnen unsere Spezialitäten erläutern.«
Ich machte einen Schritt in Richtung Bar. Sicher erwartete mich bereits ein ganzer Stapel von Kaffeebestellungen. Den meisten Leuten konnte es nicht schnell genug gehen, wenn sie auf ihren Koffeinstoß aus waren, besonders wenn sie ihren Kaffee mitnehmen wollten.
»Aber nicht doch«, meinte er. »Warum bleibst nicht du hier und erzählst uns was Spezielles, Schätzchen?«
Dem Geburtstagskind war nicht entgangen, wie unwohl ich mich fühlte, und er versuchte einzugreifen.
»Sie ist nicht zuständig für unseren Tisch«, zischte er seinem betrunkenen Freund zu. »Lass das arme Mädchen in Ruhe.«
Der Klang seiner Stimme erinnerte mich an etwas, das in den Tiefen meines Bewusstseins schlummerte.
Plötzlich fiel es mir ein. Das Geburtstagskind war der Unbekannte, der mich in dem Fetischclub gefloggt hatte, als ich nach meinem ersten nackten Auftritt vor
Weitere Kostenlose Bücher