80 Days - Die Farbe der Lust
Lebensstil zu kritisieren. Meine Eltern in Neuseeland wollte ich nicht beunruhigen; außerdem hatte ich ihnen schon erzählt, dass es mir hier glänzend gehe, damit sie mir nicht dauernd zusetzten, ich solle wieder zurück nach Hause kommen. Charlotte würde mir bestimmt unter die Arme greifen, aber ich war zu stolz, um sie anzupumpen; zudem hatte ich das unbestimmte Gefühl, sie könnte meine Geldsorgen womöglich irgendwie ausnutzen. Natürlich gab es diese Stelle in New York, mit einem Festgehalt, doch um sie zu bekommen, müsste ich mich beim Vorspielen zunächst einmal gegen eine erbarmungslose Konkurrenz durchsetzen.
Blieb also nur noch Dominik.
Keinesfalls würde ich ihn bitten, mir Geld zu leihen – nein, niemals! –, aber ich hatte verzweifelte Sehnsucht nach ihm. Seine Stimme würde meine Sorgen lindern und mir helfen, den Kopf frei zu kriegen und einen Ausweg zu finden. Denn gegenwärtig war jede Faser meines Körpers bis aufs Äußerste angespannt, und meine Gedanken drehten sich ängstlich im Kreis. Nichts könnte besser den Druck von mir nehmen als ein Tête-à-Tête mit Dominik, wenn er sich meines Geistes und meines Körpers bemächtigte und mich mit dieser absurden Mischung aus Wut und Zärtlichkeit fickte, bei der ich mich so entspannt und lebendig fühlte.
Aber wie sollte ich ihm so kurz nach der Episode mit Lauralynn unter die Augen treten?
Ich musste mit ihm reden und reinen Tisch machen. Eine andere Lösung gab es nicht. Bei der Vorstellung wurde mir zwar flau im Magen, aber es hieß entweder Klartext oder ewige Gewissensbisse, was meinem Verhältnis zu meiner Geige auch nicht guttun würde. Und wenn erst einmal die Musik aufhörte zu fließen, dann hörte auch ich auf zu existieren, so einfach war das.
Ich machte mich von meinem ehemaligen Arbeitsplatz auf den Heimweg, duschte schnell und schnappte mir ein paar Klamotten, die auf einen Campus passten und die Dominik das Gefühl geben sollten, ich sei ganz die Seine. Deshalb entschied ich mich für dieselben Sachen, die ich das letzte Mal für ihn getragen hatte: Jeans, T-Shirt, Ballerinas und den helleren Lippenstift für den Tag. Ich hoffte, es würde ihn an unser letztes Mal erinnern, als ich mich ihm voll und ganz hingegeben hatte.
Ich fuhr rasch den Laptop hoch, um die Universitäten in North London zu googlen, und fand eine literaturwissenschaftliche Vorlesung, mit Dominik als Professor. Vermutlich waren wie in der Musikhochschule auch in der dortigen Fakultät irgendwo die Seminare und Vorlesungen angeschlagen. Ich würde ihn finden.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich orientiert hatte, aber schließlich stand ich genau in dem Augenblick vor dem Hörsaal, als seine Vorlesung begann.
Sie war beliebt, vor allem bei Studentinnen, von denen viele ausgesprochen attraktiv waren und ihn begehrlich und mit fast verträumtem Blick betrachteten, als Dominik sich räusperte und zu sprechen anhob. Ich verspürte brennende Eifersucht und setzte mich in die erste Reihe, wo er mich nicht übersehen konnte. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte gerufen: »Er gehört mir!« Aber ich blieb natürlich still sitzen. Schließlich gehörte er mir nicht mehr als ich ihm, sofern ein Mensch einem anderen überhaupt gehören konnte.
Es dauerte eine Weile, bis er mich bemerkte, da seine Vorlesung ihn ganz in Anspruch nahm. Als er mich dann endlich sah, blitzte kurz etwas in seinen Augen auf – Wut? Begehren? Dann entspannten sich seine Züge wieder, und er fuhr fort, als gäbe es mich nicht. Ich hatte das Buch, über das er sprach, nicht gelesen, folgte aber trotzdem dem Rhythmus seines Vortrags und freute mich an seiner klangvollen Sprache. Wie ein Dirigent setzte er leise an, steigerte sich zu einem Crescendo und nahm sich dann wieder zurück. Kein Wunder, dass seine Vorlesungen voll waren. Hin und wieder warf er mir einen kurzen Blick zu, doch ich reagierte nicht darauf, sondern hoffte still, dass er sich an unser letztes Mal erinnerte. Ich hatte dieselben Klamotten und denselben Lippenstift getragen, ehe er meinen dunkleren Stift gewählt und mir Brustspitzen und Schamlippen angemalt hatte, um mich als seinen Besitz zu markieren.
Die Vorlesung war zu Ende, und die Studentinnen verließen nach und nach den Hörsaal. Ich hielt den Atem an. Was sollte ich tun, falls er mich einfach ignorierte? Ich konnte ja schließlich nicht ewig hier herumsitzen.
»Summer«, sagte er leise, während letzte Bücher zugeschlagen und Taschen geschlossen
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